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Deutscher Herbst 2009

Diesen Bericht habe ich gleich nach meiner Reise geschrieben, aber erst jetzt fand ich die Zeit, ihn ins Deutsche zu übersetzen.

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Und wieder war ich im Herbst in Deutschland. Und wie im Jahr 2004 war es ein Herbst der Wahlen, nicht des Terrors.

Diesmal waren die Wahlen entsetzlich langweilig. Entsetzlich aus zwei Gründen: Deutschland ist eine große Wirtschaftsmacht, nicht nur in der Region, sondern im globalen Maßstab. Die Langeweile gegenüber dem demokratischen Spiel beweist, dass die wirklich wichtigen Dinge nicht im Parlament entschieden werden, sondern in den Wirtschaftssitzungen. Entsetzlich außerdem, denn 2004 empfand ich noch diese Entrüstung, als die NPD gewisse Erfolge erzielte. Nicht mal dies war mehr da, diesmal.

Eine Demo der Neonazis, das war das Empfangskomitee, das mich am Freitagabend in Hamburg empfing. Ein paar besoffene Deutsche torkeln durch den Waggon: "Wir schauen uns die Nazis an"' und die Polizei begleitet sie. Viele Tausende schauten sich ein paar Dutzende Nazis an, die meisten waren nicht besoffen, sondern Linke, die gegen die Nazis demonstrierten. Die Nazis trafen sie nicht, denn die Polizei trennte die beiden Seiten, zum Teil mit massiver Gewalt. Und auch am Tag danach war was los: Schanzenfest.

Im Gegensatz zum Oktoberfest ist das Schanzenfest viel politischer, Linke, Autonome und vor allem Hausbesetzer, die ja auch eigentlich den Ursprung und den Kern des Festes ausmachen.

Auch ich habe sehr günstig gewohnt in Hamburg, bei einem Freund, der mich am Tag darauf auch zu seinem Rundgang "Das muslimische Hamburg" einlud.

In Hamburg gibt es, so lernte ich, mehr als fünfzig Moscheen, die meisten in gemieteten Häusern, ohne Minarette und von außen nicht als solche zu erkennen. Ich erzähl darüber nicht mehr, es wäre wie ein SPOILER zu einem spannenden Film. Geht, schaut's Euch an! Unter der Führung von Achim Rohde.

Abends ging ich zur Hamburger Theaternacht: 42 Häuser öffneten die Tore und zeigten Teile des neuen Repertoires. Ich sah ein paar Szenen eines neuen "Hamlet". Er war so verliebt in seine Ophelia, dass alle Übrigen noch viel öder aussahen als sonst. Das neue Königspaar war ekelhaft, und für Hamlet gab es nur die Eine, die sogar Cello spielen konnte.

Auch Gudrun Ensslin sah ich in dieser Nacht. Als intellektueller Kopf in jenem Deutschen Herbst schrieb sie sehr starke Texte, die die Bühne erzittern lassen, obschon sie nicht für sie geschrieben waren. Und auch Szenen aus "Adressat unbekannt" von Kressmann Taylor und andere aus "Gottes Agnes" von John Pielmeier, beides Stücke, die ich bestens aus Israel kenne.

Am Tag darauf, am Sonntag, näherte ich mich zum eigentlichen Grund meiner Reise.

Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945 (Studien zur Jüdischen Geschichte 11)

von Anna von Villiez (Autor), Institut f. d. Geschichte d. dt. Juden (Herausgeber). Dölling und Galitz Verlag GmbH München-Hamburg

ISBN: 978-3-937904-84-9

Am Sonntag abend wurden wir Verwandte der Überlebenden zu einem Abendessen eingeladen. Ich kam extra aus Israel angereist, aber sonst waren nicht sehr viele da. Eigentlich ist das gar nicht erstaunlich. Zu Lebzeiten meiner Großmutter war ich nie in Hamburg, und ich kann mich nicht erinnern, dass sie oder meine Mutter, die auch noch in Hamburg geboren wurde, je nach Hamburg fuhren. Hätte Oma Olli meine Reise gutgeheißen?

Und nichtsdestotrotz war dieser Abend sehr ergreifend. Besonders die Worte des Vizepräsidenten der Ärztekammer, der im Krieg seinen Vater und vier seiner Onkel verlor, aber auch das Treffen mit einigen der Kinder der Opfer, gingen mir sehr ans Herz. Ich selber betonte in meinen Worten, dass Ärzte nicht nur in Deutschland ganz schreckliche Dinge taten, und dass die Lehre nicht nur in Deutschland gelernt werden muss.

Die einfache Einteilung in Opfer und Henker funktioniert nicht, auch nicht in dieser Geschichte. Wer das verstehen will, soll das Buch lesen. Es ist ausgezeichnet, und dies sag ich nicht, weil meine beiden Großeltern darin vorkommen.

Und auch während der nächsten Tage verspürte ich dies: Ich wurde von einem wildfremden jungen Menschen eingeladen, zusammen mit meinem Bruder bei ihm zu wohnen. Er wohnte in diesen Tagen in seinem Wohnwagen. Ein Mensch mit einem Herzen so groß wie ganz Hamburg! Martins Großmutter war jüdisch, aber von der andern Seite hatte er einen Onkel bei der Waffen-SS und einen Großvater bei der SA. Bei mir ist die Sache klar: Die Onkel meines Vaters wurden in Rowno und in Warschau umgebracht, die Verwandten meiner Mutter in Russland und in Theresienstadt. Aus Nazisicht bin ich kein Viertel- oder Halb-, sondern ein Vollopfer.

Hier auf dem Photo: Martin, und daneben mein Bruder, den ich tags darauf vom Flughafen abholte. Vom Flughafen gingen wir gleich zum größten Friedhof Europas: Ohlsdorf. Das war ein Fehler. Mein Bruder brachte eine große Tasche, aber ohne Räder, und der jüdische Friedhof ist ganz hinten. Als wir endlich dort ankamen: ein Zaun. Alles wieder zurück, und außen rum. Und dazu regnete es auch noch. Ich fragte mich bange, ob alle die vier Tage mit meinem Bruder wie eine Rekrutenschule aussehen würden?

Im Büro des jüdischen Friedhofes trafen wir einen jungen Mann, der sich ganz ohne Umstände eine Kippa aufsetzte und überhaupt ganz eifrig und engagiert war, als bekäme er Millionen für seine Arbeit. Nachher erst erfuhren wir, dass dies sein 1-Euro-Job sei. Zuerst suchten wir alle Angaben in der Karteien und Büchern, danach gingen wir raus.

Zuerst zum Grab von Johanna, Adolf und Herta, dann zum Grab von Fanny Taube, und auch das Grab von Jakob und Zilusch Sarasohn besuchten wir, Johannas Eltern.

Es waren vier sehr intensive Tage, die mich und meinen Bruder in weite Vergangenheit stürzten. Er brachte alte Briefe mit, zum Beispiel ein Brief von Urgroßvater Adolf an seine Schwester und ihren Mann Otto, in dem er ihnen mitteilt, er habe sich verliebt (in unsre Urgroßmutter). Und auch sehr bedrückende Überraschungen aus den schlimmen Dreißiger Jahren: Mein Großvater Hermann im Zwist mit seiner Schwiegermutter Johanna, die in Hamburg geblieben ist. Nicht genug, dass sie damals von den Nazis verfolgt und unterdrückt wurden, sie erschwerten sich selber das Leben mit familiären Reibungen. Dasselbe hat Hermann mit seinem Bruder, weswegen die beiden nie mehr miteinander sprachen. All dies erfuhr ich zusammen mit meinem Bruder in Hamburg in diesen vier Tagen, und der Höhepunkt war natürlich die Lesung, ein Abend, der zum Erscheinen des erwähnten Buches stattfand.

Zum Buch: https://abumidian.wordpress.com/deutsch/mit-aller-kraft-verdrangt

Wir haben uns auch die Häuser angeschaut, in denen unsre Großmutter lebte, allen voran natürlich eines der berühmtesten Häuser überhaupt in Hamburg:

Das Niemitz-Haus am Georgsplatz

Oma Olli schreibt in ihren Erinnerungen:

"Im bin am 20/10/96 geboren, genau ein Jahr später als meine Schwester. Wir wuchsen daher wie Zwillinge auf. Das Haus, in dem wir geboren sind, ist am Georgsplatz und jetzt unter Denkmalschutz, weil es das einzige dort in echtem Jugendstil ist. Unten war die Apotheke Niemitz. Darüber war die Praxis und Wohnung meines Vaters. In der nächsten Etage wohnte Familie Niemitz, und darüber, im obersten Stock, wohnte meine Urgroßmutter, die Mutter meines Großvaters Sarason. Bei ihr lebten die zwei unverheiratete Großtanten: Tante Lene und Tante Johanna…." usw…

Zum Haus ist noch zu sagen, dass es nach dem großen Brand von 1846 gebaut wurde, und eines der weniger Häuser ist, die die schlimme Bombardierung von 1943 überstanden hat. Die Apotheke Niemitz wurde 2001 nach mehr als hundert Jahren geschlossen. Das Haus wird z.B. in Ralf Langes Architekturführer besprochen und in der Wikipedia unter "Bauwerke in Hamburg".

Ein ganz anderes Erlebnis war unser Besuch in Lüneberg, wo wir Tante Sonja besuchten. Sonja ist heute 93 Jahre alt, und ist eine der bewundernswertesten Personen, die ich überhaupt kenne!

Sie war hier in Lüneburg Stadtratsabgeordnete der SPD, aber das war in den siebziger Jahren, seit dem Krieg im Balkan hat sie die Partei verlassen.

Nachdem mein Bruder wieder abgeflogen war, genoss ich einen Abend in der "Alsterperle" mit Martin, Stefan, Claudia und Nina, und vor allem mit Rollmöpsen, die ich seit mehr als dreißig Jahren nicht mehr gegessen hatte!

Wenig köstlich waren verschiedene Themen an diesem Abend, wie zum Beispiel, dass Deutschland seit Neuem an dritter Stelle steht auf der Liste der Top-Waffenexporteure der Welt. Die Teutonen bedienen vor allem die Türkei, Griechenland und den ganzen Nahen Osten. Wenn ich also demnächst nicht mehr komme, um Rollmöpse zu verschlingen, dann könnte es daran liegen. Oder an der Schweiz, die Schweizer wollen auf das Riesengeschäft ja auch nicht verzichten.

Die Reise nach Hamburg nützt ich aus, um noch drei Tage nach Berlin zu fahren. In Berlin kam ich bei meinem Verleger unter (www.aphorisma.de ), der "ein gläubiger und praktizierender Europäer" ist, wie er von sich sagt, und bei dem kürzlich meine kleine Geschichte "Abigajil" herauskam.

Außerdem nützte ich die Zeit, um beim alldeutschen Treffen von TdU-PraktikerInnen teilzunehmen. TdU heißt Theater der Unterdrückten, und wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass dies eine meine Spezialitäten ist.

Wir sprachen viel über die Ästhetik des TdU, die Ökonomie des TdU und auch darüber, wie man entscheidet, ob jemand wirklich Theater der Unterdrückten macht oder nur einfach die Methoden benutzt, um gute Unterhaltung zu bieten.

Ein langer und interessanter Tag.

Eine andere sehr besondere Begegnung in diesen Tagen war diejenige mit Ruth Grosser.

Tante Ruth wurde ein paar Stunden vor 1924 geboren. Da wir uns das erste Mal sahen, erzählte sie mir nicht nur von heute, von den Mietpreisen, die immer höher werden, und die sie nicht mehr bezahlen kann, sondern auch von ältern Geschichten, natürlich vor allem, wie ihr Vater Kurt Heilbronn von der GESTAPO umgebracht wurde.

Ich bin zu ihr am sonnigen Samstag des Berliner Marathons geradelt. Ein Teil machte ich mit der U-Bahn, auf die S-Bahn konnte ich mich nicht verlassen. "Ich habe ja nur den Krieg erlebt, aber sowas gab es nicht mal im Krieg!" sagte Ruth. Vielleicht hat sie ein wenig übertrieben, aber die meisten Berliner erleben die S-Bahn-Sache als größte Schweinerei aller Zeiten. Schlachtensee ist ein sehr vornehmes Viertel, und das Haus, in dem sie lebt, ist auch sehr schön. Eins der ersten Eindrücke von ihrer Wohnung ist dieses kleine Bild:

Unsre Ureltern Henriette und Ludwig, die Eltern der zehn Manheimerkinder. Ihr erstes Kind (Juju) gebärte Henriette mit 25 Jahren, bei ihrem 10. war sie wahrscheinlich schon fast 45, das muss ungefähr 1888 gewesen sein, als Adolf gerade seine Karriere in Hamburg begann. Ich finde es schön, wie er ihre Hand hält, aber wo schaut er hin?

Unser Treffen war sehr herzlich, aber nicht nur fröhlich. Ein großer Teil davon handelte vom schrecklichen Spätsommer 1943. Im Juli wurde ihr Vater Kurt von der Gestapo verhaftet. Nach acht Wochen fiel durch den Postschlitz der Haustür der Todesschein auf den Fußboden.

"Magen und Darmkatarrh"….

Ruth ging nach Grossbeeren, an der südlichen Stadtgrenze von Berlin. In der Nähe des Gestapolagers wurde sie von einem Wachtmann angehalten:

"Was machen Sie da?"

"Mein Vater ist hier gestorben."

"Wissen Sie denn nicht, dass das hier das 53-Tage-Lager ist?"

Tatsächlich starb Kurt genau am 53. Tag nach seiner Verhaftung. Sie schaffte es, durch das Knopfloch ihres Mantels das Massengrab zu fotographieren, und sie gab mir die Photos.

Von einem andern Häftling erfuhren sie nach dem Krieg, dass er erschlagen wurde.

Aber jetzt leben die Deutschen ja in der Demokratie. Wobei ich irgendwie die Bundesrepublik genauso wenig als Demokratie erlebe wie die Deutsche Demokratische Republik. Und dann noch dieser lahme Wahlkampf! Die beiden haben in ihrem TV-"Zwiekampf" ja fast miteinander geflirtet!

Der Mauerpark interessiert die Berliner offenbar viel mehr. Welche ein Volksfest! Till Baumann, der mich zum TdU-Treffen einlud, nahm mich auch dorthin.

Am Rande des Randes – ein kleines Amphitheater, wo ein Karaokee-DJ seine Instrumente aufstellte. Die Leute machten mit. Am eindrücklichsten war ein etwa 50- oder 60-Jähriger mit "I did it my way". Er sang es aber ohne auf den Bildschirm zu schauen, auf deutsch. Kein Zweifel: es war ein Hit in seiner Jugend, und stelle ihn mir vor, vor 40 Jahren, hier vor der Mauer, sich sagend: "Ich werde meinen eigenen Weg gehen."

Ein anderer Cousin lud mich zur Premiere des "Rigoletto" von Verdi in der Komischen Oper ein. Ich bin kein Fan von Verdi, aber anlässlich der Premiere bestaunten wir die multifunktionalen Plätze, wo die Untertitel auf dem Vordersitz erscheinen, in der Sprache Ihrer Wahl. Die Sänger sangen zwar in deutsch, dafür sorgte der Dramaturg Werner Hintze, aber trotzdem gut konnte ich den Untertiteln folgen. Der Regisseur hatte so viele gute Ideen, und er dachte, er müsse allesamt in dieser Oper umsetzen. Schade.

Das war mein letzter Abend in Deutschland. Während dieser Reise las ich zwei Bücher, das einen, das ich bei der Lesung erhielt, und das andere: eine Chronik von Carl von Ossietzky, die er während seiner neun Monaten Gefängnishaft 1932 schrieb. Es war erschreckend, wieder einmal zu erleben, wie wenig die Deutschen für eine Demokratie bereit waren…

Epilog

Eine Nacht in Budapest

Während meiner Reise in Deutschland überlegte ich mir, was ich eine Nacht lang in Budapest machen sollte. Ich komme um 22.00 Uhr an, und der Anschluss nach Tel-Aviv ist morgens um 09.00 Uhr. Eigentlich dachte ich, ich lege mich in eine Ecke im Flughafen und versuche die Nacht zu durchschlafen.

Im Flugzeug schwatzten die Leute diese komische Sprache, und ich rächte mich an ihnen, indem ich Beat Gloors:

staat

sex

amen

las, und dabei lauthals loslachte. Aber als ich dann landete, wurde mir schlagartig klar: Hier bleibe ich nicht. Ich wechselte also 10 Euro in 2700 HUF, fuhr mit Bus und Metro in die Stadtmitte und machte mich daran, die Stadt zu erforschen. Aber gleich im Metrotunnel erreichten mich anmutige Celloklänge, und als ich näher kam, sah ich einen Notenständer, auf den Schönbergnoten standen. "Das ist nicht Schönberg, das ist Bach", sagte der junge Engel mit den blonden langen Haaren. Als ich ihm sagte, ich sei aus Israel, wünschte er mir sofort "Schana towa!" – wie wusste er denn das? Na ja, er hat gestern auf einer Neujahrsparty gespielt.

Nathan spricht fließend Ungarisch, daher konnte ich nicht erraten, dass er eigentlich Amerikaner ist. Vielleicht schafft er, was die meisten Amerikaner nicht schaffen (eine zweite Sprache zu lernen), weil er aus Utah ist, und nicht von der Ostküste oder von Los Angeles, diese Orte mit ihrem Woody-Allen-Großstadtprovinzialismus, wie es ihn auch in Tel-Aviv gibt. "Ich bevorzuge Bach, nicht Schönberg", sagte ich. "Aber Schönberg war ein Jude!" Na und? Deswegen muss ich ihn mögen?? Er brachte mir ein paar Worte in Ungarisch bei, "ju äschted", "kösemen" usw. und rat mir, den Budapalast zu besteigen, auf der andern Seite der Donau. Also: Buda ist der westliche Teil, Pest der östliche Teil der wiedervereinigten Stadt. Blöd! Wieso wieder-vereinigt?

Ich ging durch die gottverlassenen Strassen, überlegte, ob ich so einen Homeless photographieren soll, die da in jedem Hauseingang liegen, aber dann fand ich das pietätlos.

Als ich die alte schöne Brücke überquerte, sah ich eine Entenmischpoche auf dem zweitlängsten Fluss Europas, die auch, wie ich, nächtlich Budapest erforschten. Auf der andern Seite begann ich, den Budaberg zu erklimmen. Wenn ich gewusst hätte, welch schreckliche Schlachten um diesen Berg geführt wurden, während Hunderten von Jahren, und wie viele Soldaten ihr junges Leben für diese Burg hinschmissen (z.B. im Winter 1944-1945), hätt ich es nicht geglaubt, denn ich ging ohne Störung die Strasse rauf, durchquerte offene Tore, Treppen, Türe, wie wenn es wirklich allen egal wäre. Nach einer Stunde in der größten Burg Ungarns, und sie sieht größer aus als jede andere in Europa, bestimmt größer als Versailles, und in den Kellern dieses dämonischen Riesens befand sich das Nazihauptquartier, ging ich wieder runter, bevor ein Gespenst mich ergreife. Ich war durstig. Zurück nach Pest.

Das Bier kostete mich 1100 HUF, und so blieb mir nicht genug Geld für Metro und Bus, aber ich war zu durstig. Ich sagte mir – was kann schon sein? Mehr als 10 Euro geb ich nicht aus für eine Nacht in Budapest. Ich ging noch ein Stück weiter zur größten Synagoge Europas, und die zweitgrößte der Welt. Ich war beeindruckt von der Größe und dem maurischen Stil, weniger davon, dass Herzls Elternhaus hier gestanden sei. Das kann doch nicht Herzls Wunsch gewesen sein, dieses laizistischen Liberalen! Da passt der Besuch des israelischen Staatspräsidenten Katzaw im Jahre 2004 schon besser her, denn er war der 1. israelische Staatspräsident mit Kippa. Er war auch der erste, der jetzt wegen Vergewaltigung verurteilt wird. Aber das kann ja den amerikanischen Touristen in Budapest egal sein, mit deren Geld dann die 21. Filiale McDonald in der Stadt eröffnet wird. Aber nach dem zweitgrößten Friedhof der Welt (in Hamburg) und der größten Burg und der zweitgrößten Synagoge der Welt und dem zweitlängsten Fluss Europas hatte ich genug von großen Dingen und ich verkroch mich in die Metrostation, da lagen auch viele Homeless, wie oben in den Haus- und Ladeneingängen, nur war es hier warm. Ich legte mich neben sie, denn um halb drei Uhr morgens fahren keine Züge.

Der Security-Mann weckte mich auf und wollte mich Homeless vertreiben. Ich sah Leute in die Metro runtergehen, ich erklärte dem Mann auf englisch, dass ich zum Flughafen müsse, er verstand natürlich nichts, ich nahm meine Brille aus der Tasche, da schaute er mich und die Brille an und ließ mich in die Metro.

Aus dem Flugzeug sah ich die blaue Donau in der Morgensonne und fragte mich, ob die Entenmischpoche hier unter mir schwimmt, oder vielleicht badet sie schon am Eisernen Tor zwischen Serbien und Rumänien.

Uri Shani, September 2009

hier die hebräische Version

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