Schabat, 16. Februar
Ich habe es nicht anders verdient.
Warum muß ich mich dazu überreden lassen, mit Esthi mitzufahren, um Doron in seinem Militärlager zu besuchen?
Und wie hätte ich wissen sollen, daß dies eine Strafexpedition für mich wurde?
Esthi brachte mir Kaffe ans Bett, und wie hätte ich ahnen sollen, daß mir eine Tortur bevorstand, die ich nach Jahren noch nicht vergessen werde? – Aber ich bezichtige sie nicht der Falschheit; sie hatte nichts Böses mit mir vor. Sie haben beide nichts Böses mit mir im Sinn.
Esthi fand das Abach-Lager ohne Schwierigkeiten. (Abach: A = Atomwaffen, b = biologische und ch = chemische Waffen.) Auch jetzt im Krieg ist bei so etwas wie Geheimhaltung nicht die Rede. Ein einfacher Holz-Draht-Verschlag umgab es, und Doron stand an dem großen Tor und hielt Wache. [Darf ich behaupten, dass nur dann alle hysterisch werden, wenn derjenige, der "uns" verpfeift, Va'anunu heißt und aus einer marokkanischen Familie kommt?]
Doron hängte die Kette aus, ließ uns hinein und setzte sich ohne Umstände hinten ins Auto. So redeten wir. Kam seltenerweise ein Militärlastwagen oder ein anderer Besucher ans Tor, stieg Doron aus um zu öffnen, und ich reichte ihm sein Gewehr, das irgendwo bei mir auf dem Vordersitz lag.
[… es folgt eine lange, vergnügliche und redegewandte Beschreibung der Auseinandersetzung mit Doron und auf der Rückfahrt mit Esthi…]
Zu Hause in der Wohnung war die Luft zum Schneiden. Klar, daß ich nicht bleiben konnte. Aber Esthi wäre nicht Esthi gewesen, wenn sie mir nicht ihr Auto zu einem Besuch bei Ruth E.in Kfar Saba geliehen hätte. So bin ich jetzt hier, im siebten Stock eines Hochhauses in einer wenig gefährdeten Gegend, habe Ruth sofort mein ganzes Herz ausgeschüttet und es auch gleich heftig bereut. Immerhin war sie so nett, ihre eigene Mutterrolle zu minimalisieren und zu behaupten, sie würde sich mit allen drei Kindern dauernd zanken. Ich sei eine Heldin, daß ich es länger als eine Nacht bei einem der Söhne ausgehalten hätte.
[…]
Zwanzig nach acht, kaum habe ich mit Esthi telefoniert, heulen die Sirenen. Ruth hat aus ihrem Schlafzimmer das verstopfte Zimmer gemacht, und so hocken wir alle drei [mit Ruths Tochter Tami] in dem schlecht gelüfteten Gemach auf dem aufgestockten Bett wie auf einem fliegenden Teppich. Aber damit endet die Science fiction heute Abend, für mich jedenfalls, denn ich bekomme keine Masken zu sehen. Ruth und Tami sagen, das Gas käme sowieso nicht bis in die siebte Etage, und wenn das Haus getroffen würde, sei es ohnehin egal. Ich frage weder sie noch mich, warum wir dann in dem Zimmer hocken.
Ich versuche noch während des Alarms zu telefonieren, wie üblich, mit der Maske (ich habe die meine angezogen, es ist mir eine liebe Gewohnheit geworden), […]
Die Nachrichten melden, der israelische Botschafter in Washington habe Mist gebaut und vorzeitig an die Presse durchsickern lassen, die Amis würden für Israel keine Bürgschaft leisten, solange es Siedlungen in den besetzten Gebieten baue. [War es nicht Beckett, der zum ersten Mal in seinen Stücken die Regieanweisung benutzte: "SAME GAME" ?] […]
Es gibt Spekulationen, Saddam Chussein habe Israel gar nicht schaden wollen. Sicher ist, daß dieser Krieg ein großer politischer Gewinn für Israel werden könnte, wenn der Affe in der Regierung nicht alles wieder kaputt macht.
Viele unwiderrufliche Schäden sind angerichtet worden; die irakischen Schlächter haben sich nicht gescheut, archäologische Stätten zu missbrauchen, selbst die alte Stadt Ur, die Wiege unserer Kultur. Ob der Irak auch ihr Sarg sein wird?
Es ist noch keine zwei Tage her seit der Bombardierung des Luftschutzkellers in Bagdad.
Beim Zubettgehen sagen wir nicht mehr "leila tow" (gute Nacht), sondern 'leilat", was eine Abkürzung sein soll für "leila l'lo tilim" = Nacht ohne Raketen. Seit ich im Lande bin, war gestern der erste Schabat mit leilat.
Ja, also wie ich schon mehr als dreißigmal hier schrieb: Ich konnte nicht anders und habe Wolf Biermann auf seinen Artikel in der Zeit geantwortet:
https://abumidian.wordpress.com/deutsch/biermann