auf du und du
Gedichte 1973
Hilde Shmerling
"Schreiben Sie einmal leichte Diätkost,“ bat ein Schriftstellerärzte-Freund – und drückte damit eine schöne Verbindung seiner beiden Berufungen aus – als ich einen rhythmisiert assoziativen und ent-grammatikalisierten Prosatext vorlas. Ich habe diese Worte in herzlicher Belustigung beherzigt. Gibt es Kunst um der Kunst willen, solange die künstlerische Form in den Vordergrund tritt und der Hilferuf dahinter ungehört verhallt ? Kann der Künstler Kunst um der Kunst willen treiben, ohne sich im weitesten Sinne des Wortes zu "engagieren" und die Fluten der Not seiner Zeit auf seine Weise zu bezwingen ? – Ich habe in diesen Gedichten bewusst eine direkte und oft werktägliche Sprache benützt, um den Leser mit einer Problematik zu konfrontieren, die uns alle betrifft und trifft, und ihn auf gleicher Ebene – "auf du und du" – anzusprechen.
Im Rauchacker von Oberengstringen, Frühling 1973
23
Als sich
die Schlinge um meinen Hals
zuzog
kamst du und batest hilf
ich weiss den Weg nicht einer
meiner baumelnden Füsse
stiess dich in die richtige
Richtung da sagte er weh
ich kann meine Tränen nicht wischen
und meine
schon starre Hand glitt ihm trocknend
übers Gesicht da schrie sie
hilf mich dürstet und von
meinem zwetschgenblauen Gesicht
lief Speichel
aus meinem offenen Mund sie zu
tränken
Dieses Gedicht habe ich (Uri Shani) 1990 für die Bühne ins Hebräische übersetzt.
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