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15. Mai 1948 – in memoriam

15. Mai 1948 – IN MEMORIAM

Der 15. Mai 1948 war ein Festtag für  meinen Vater. Wohl war das Leid im Flüchtlingslager groß, die Bedingungen denkbar schlecht und die Behörden haben nicht viel getan, um sie zu lindern. Der kurze Frühling war vorbei und der Scirocco aus Nordafrika kündete einen heißen Sommer an. Aber an diesem Tag wusste er, dass diese Flüchtlinge sehr bald Bürger des jüdischen Staates sein werden, der gerade gestern ausgerufen worden war. Nicht mehr illegale Flüchtlinge, nicht mehr illegale Einwanderer nach Israel, keine serienmäßige Fälschung von Passporten, die unter den Augen der französischen Polizisten in Marseille geschmuggelt wurden, kein nervenzermürbendes Warten mehr. Süd-Frankreich war wohl sehr schön, aber trotz allem nur eine vorübergehende Zwischenstation für die Tausenden von polnischen, deutschen, marokkanischen, algerischen und vielen anderen Flüchtlingen, die dort warteten, um weiter zu kommen, weiter gebracht zu werden, in eine sicherere Zukunft.

Auch für ihn persönlich war es ein wichtiger Tag. Er war zwar selber kein Flüchtling, nur ein Auswanderer, ein Auslandsstudent. Aber bis gestern war er nicht nur weit weg vom Elternhaus, sondern auch ohne Staatsangehörigkeit – nur eine Identitätskarte des britischen Mandatsgebietes hatte er. Und nun plötzlich wurde er Staatsbürger des Staates Israel und gleichzeitig auch Soldat der neu gegründeten Israelischen Armee.

Von der Hagana [die hauptsächliche zionistische militärische Untergrund-Organisation im Palästina vor der israelischen Staatsgründung] wurde er in „Grand Arenas“, einem Flüchtlingslager nahe bei Marseille, als Mitarbeiter und Übersetzer eingesetzt, als alle seine Kameraden nach Israel zum Kampf im Unabhängigkeitskrieg zurückkehrten. Er wusste bestimmt nicht, dass am selben Tag Tausende von Menschen, Männer, Frauen, Kinder und Greise nicht nur ihre provisorische Identitätskarte, sondern auch ihr Haus, ihren Besitz, ihre Ländereien, ihre Existenzgrundlage, zum Teil auch ihr Leben verloren. An genau denselben Tag eroberte  ein junger Kommandant der Hagana, auch er Schüler und Absolvent des selben Herzlyia Gymnasiums an der Achad Ha’am Strasse in Tel Aviv, wie mein Vater, der 4 Jahre älter war  und der Izchak Rabin hieß, mit seinen Soldaten das Dorf Al-Kubab; am Tag zuvor hatten sie die Dörfer Al-Na’ana und Abu Shusha eingenommen und ihre 2'700 Einwohner zu Flüchtlinge gemacht (heute sind sie 18'000), nicht ohne im zweiten der beiden ein grausames Massaker zu verüben. An jenem von Freuden erfüllten Tag hat mein Vater seinen Blick auf das Meer, nach Osten, gerichtet – und vermutlich wollte er sehr dort sein, mit den Kameraden, mit den Freunden, mit der Familie; an diesem schönen Tag, nach langen Jahren des Lebens und der Entwicklung ohne eine anerkannte Staatsangehörigkeit, am selben Tag sind 2000 Einwohner des Dorfes Al-Kubab zu Flüchtlingen geworden; mit der Zeit sind es 15'000 Seelen geworden.

48 Jahre vergingen. Aus „Grand Arenas“ ist nichts mehr geblieben, auch in Al-Kubab sind nur 5 oder 6 Häuser geblieben. Vom großen Schulhaus und von der Moschee ist nichts mehr da, nicht einmal die Erinnerung.  Monate später sind auch die umliegenden Dörfer wie Annaba und andere kleine Dörfer, und schließlich auch, nach schweren Kämpfen, Latrun selber erobert worden. Heute gibt es hier in der Gegend Dörfer mit ganz anderen Namen – Beit Hashmona’i, Carmei Yossf, Gezer, Kfar Shmuel – und anstelle von Al-Kubab – Mishmar Ayalon.

48 Jahre später, am 15. Mai 1996, fanden im Staate Israel Parlamentswahlen statt. Ich habe daran teilgenommen, weil ich die Berechtigung dazu durch die Staatsangehörigkeit hatte, die mein Vater damals erhielt, und mit einer israelischen Identitätskarte ging ich zur Urne. Im Anschluss daran sind wir mit meiner geliebten Frau und unserm Sohn, der noch wohl in ihrer Gebärmutter behütet war, mit allem was wir besessen haben, Möbel, Bücher, Musiknoten, Klavier und alles anderem, nach Mishmar Ayalon gefahren, um in ein Haus zu ziehen, welches 48 Jahre früher einer anderen Familie gehört hatte, einer Familie, die jetzt im Flüchtlingslager Dschelasun – oder an einem anderen Ort – lebt. Den ganzen Tag haben wir geschuftet, sehr müde sind wir schlafen gegangen. Erst am nächsten Morgen erfuhren wir, dass Bibi [Netanyahu] dem Peres die Show gestohlen hat.

Jetzt sind es 7 Jahres seither, unsere Hochzeit haben wir in diesem Haus gefeiert, hier hat auch unser Sohn seinen Bund mit seinem Volk geschlossen, wir sind aber nur temporär hier. Wir sind Mieter, die Miete bezahlen wir dem Besitzer – ist er der echte Besitzer dieses Hauses? Wer weiß, ob und vielleicht und wann der eigentliche Hausbesitzer zurückkommen wird.

Die Flüchtlinge aus Al-Kubab, die mehrheitlich im Flüchtlingslager von Dschelasun, 20 Kilometer von hier entfernt, leben, brauchen keine „Wegkarte“, sie kennen den Weg bestens.

Ich zünde kein Nationalfeiertag- Feuerwerk an. Höchstens eine Kerze zur Erinnerung.

Uri SHANI, Mishmar Ayalon , Mai 2003

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