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Wahlen von Ramat Tivon 2020

12.10.20

Seit ich nicht mehr im Kibbutz lebe, das heißt seit dreißig Jahren, habe ich mich nicht mehr mit Politik auf der basisnähesten Ebene beschäftigt: auf der Ebene der allernächsten Nachbaren. Es stellt sich heraus, dass das hier, die Wahlen zum Rat des Quartiers Ramat Tivon, die brisanteste politische Angelegenheit ist, mir der ich mich jemals beschäftigt habe.

(Um ein bisschen Hintergrund zu erhalten, sind dem Leser folgende Beiträge zu empfehlen:

Knessetwahlen 2013

Wahlen 2019

http://www.mideastweb.org/nemashim/februar2010.htm

http://www.mideastweb.org/nemashim/juni2010.htm

https://www.youtube.com/watch?v=ngTgVYQS-X8 )

Das Quartier Ramat Tiv'on, das zur Kleinstadt Kiryat Tiv'on gehört, wurde vor etwa dreißig Jahren gegründet, nachdem das Gelände bislang brach lag. Und davor, in den Sechziger Jahren, war hier das Durchgangslager, die Maabara, von Tiv'on. Ramat Tivon liegt zwischen zwei Beduinendörfern, Sbidaat und Basmat Tab'un, die beide zur ihrer eigenen Munizipalität und deren Bewohner auch zum selben Beduinenstamm gehören. Die Beduinen in Galiläa, im Gegensatz zu den Beduinen im Süden, sind schon seit mehr als 150 Jahren ansäßig und keine Nomaden mehr, aber die Unterschiede zwischen ihnen und den städtischen Palästinensern und zu den palästinensischen Bauern sind immer noch spürbar. Zunächst gibt es einen Unterschied in der Sprache: das galiläisch-beduinisch-palästinensische Arabisch ist ein Gemisch zwischen dem beduinischen und dem fallachischen (bäuerlichen) Dialekt innerhalb der palästinensischen Dialekte. Zweitens bewahren die Beduinen auch in Galiläa, obschon keiner, und auch keiner der verstorbenen Urgroßeltern sich an die Nomadenzeit erinnern kann oder konnte, gewisse beduinische Traditionen. Zum Beispiel sind die Beduinen die besten Spezialisten in der Fußspurenverfolgung in der Region. Alle Fußspurenspezialisten im israelischen Militär sind Beduinen. Die meisten männlichen Beduinen in Galiläa dienen im israelischen Militär, wie die Drusen und im Gegensatz zu den anderen Palästinensern. Die Beduinen in der Region von Kiryat Tiv'on haben sich schon vor 1948 mit den Zionisten arrangiert, und so sind die meisten gute Zionisten. Das heißt aber nicht, dass sie nicht wie alle Araber vom Regime unterdrückt und diskriminiert werden. Wie jeder, der es wissen will, weiß, gibt es in Israel Dutzende von Gesetzen, die Araber systematisch diskriminieren. Auch in den Beduinendörfern gibt es Häuserzerstörungen, auch von Familien, in denen alle Männer im Militär sind oder waren. Die Häuserzerstörungen sind die Reaktion auf "gesetzeswidrige Bauerweiterungen". Ich stelle das in Anführungszeichen, obschon es tatsächlich gesetzeswidrige Bauerweiterungen sind, aber man muss sich mal das Gesetz anschauen. Die zionistische Praxis ist eine systematische Erstickung der Palästinenser, nicht nur in den besetzen Gebieten, sondern auch in Israel. Die Palästinenser, inklusive die Beduinen, haben keine Möglichkeit, ihre Siedlungen für ihren natürlichen Zuwachs zu erweitern.

Einer der Kandidaten für die Wahlen des Quartierrates brüstet sich damit, dass er es geschafft hat, die Erweiterung von Bossmat Tiv'on in Richtung Ramat Tiv'on zu verhindern. Wenn man sich die Lage von Ramat Tiv'on anschaut, sieht man sofort, dass dieses Quartier ein Keil zwischen den beiden Dörfern ist und auch als solches von vornherein konzipiert ist.

Man kann sich natürlich fragen, warum so einer wie ich dann hier lebt. Nun, ich glaube eben immer noch, und damit werde ich wahrscheinlich ins Grab gehen, an gute Nachbarschaft, an Gerechtigkeit, an die Möglichkeit, dass wir hier in diesem Land einmal friedlich miteinander zusammenleben können. Ich bin nicht gekommen, um Galiläa zu verjuden. ("Yihud Hagalil" ist die Parole der Zionisten, die versuchen, Galiläa "jüdisch" zu machen, sprich: die Araber zu vertreiben.) Ich bin gekommen, um Teil des mehrheitlich arabischen Galiläas zu sein und mich zu integrieren.

Eine übliche Reaktion der Palästinenser, überall im Land, auf diese zionistische Erstickungswut, ist, dass sie sich in Städten und Dörfern ansiedeln, die von den Zionisten gebaut oder erobert wurden. So wurde zum Beispiel "Nazrat Ilit" als zionistischen Keil zwischen der Stadt Nazareth und den umliegenden Dörfern konzipiert und gebaut, aber inzwischen ist es eine gemischte Stadt, und im Stadtrat sitzen auch Palästinenser. Das ist den Zionisten natürlich ein Dorn im Auge. Derselbe Kandidat in Ramat Tiv'on, der sich damit brüstet, dass er die Erweiterung von Bossmat Tiv'on verhindert hat, will auch verhindern, dass unsere Nachbarn bei uns Häuser kaufen. Dieser Kampf, innerhalb von Ramat Tiv'on, hat schon vor zwanzig Jahren begonnen, lange bevor wir hier unser Haus gekauft haben. Inzwischen wohnen in Ramat Tiv'on schon einige Beduinen, was ich natürlich begrüße.

Und das ist der Kern der Diskussion, und sie betrifft das ganze zionistische Projekt der letzten 140 Jahre. Diese Diskussion existiert übrigens auch, mit anderen Vorzeichen, in anderen Orten der Welt, und das Thema wird im Allgemeinen "gentrification" genannt. Aber im zionistischen Zusammenhang erhält es eine eigene Farbe, mit dem besonderen Rassismus, der den Zionismus seit seinen Anfängen begleitet. Die allermeisten hebräischen Israelis, und so auch die große Mehrheit der Bewohner von Ramat Tiv'on, sind Zionisten. In diesen Tagen, während der Maßnahmen der Diktatur, gibt es hier an Ort und Stelle große Demonstrationen gegen den Diktator, wie überall im Land. Die große Mehrheit der Bewohner von Ramat Tiv'on haben mitte-links in den letzten drei Parlamentswahlen gewählt. Aber sie sind Zionisten.

Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten mit politischen Themen und mische mich ein. Ich bin aktiv, bekenne Farbe und nehme kein Blatt vor den Mund. Vor zwei Jahren sagte mir Michal, unsere Freunde machen einen Liederabend in ihrem Garten mit politischen Liedern. Ob ich nicht ein Lied singen wolle? Ja, klar! Und ich wählte sofort ein Protestlied von Shlomo Gronich (https://www.youtube.com/watch?v=YenQAXJkkP8), aber da kein Klavier dort im Garten war, begleitete mich Michal mit der Gitarre. Das gab dem Lied einen noch düsteren Unterton, als mit dem Klavier. Ich sang das Lied inbrünstig, mit geschlossenen Augen. In der Zeile, wo es heißt, wir müssten die Augen öffnen, öffnete ich meine. Irgendwann, während dieses Abends, wandte ich mich an meine Nachbarin, die diesen Abend organisiert hatte, und fragte sie: "Sag mal, ist das eigentlich eine Wahlversammlung von Ruti?" Der Abend fand drei Wochen vor den Kommunalwahlen von Tiv'on statt, und Ruti war eine der Kandidatinnen. Es gibt keine Ausrede für meine Dummheit, dass ich das nicht gewusst hatte. Noch bevor der Abend zu Ende war, wurde ein Video mit mir, das Lied singend, mit einem T-Shirt von "Zochrot", einer Organisation, die die Verbreitung des Wissens um die Nakba von 1948 auf Hebräisch propariert, viral. Alle sahen es. Ruti musste zur Frage Stellung nehmen, ob sie für das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge einstehe.

Aus diesem Grund beschloss ich, nicht selber zum Quartierrat von Ramat Tiv'on zu kandidieren. Mir ist klar, dass die Rassisten sich an dieses Video erinnern und mich disqualifizieren werden. Es ist viel einfacher, sich auf der nationalen und der internationalen Ebene zu outen, als bei sich zu Hause. Es ist wie im Theater. Es fällt mir leichter, vor anonymem Publikum zu spielen, als vor Menschen, die ich persönlich kenne. Und ähnlich erging es mir, als ich mein Buch "Nemashim" 2011 in neun verschiedenen Städten von Bern bis Berlin vorstellte. Am Schwierigsten war es für mich in Zürich.  

Wenn ich gegen den Hetzer von Ramat Tiv'on andere Kandidaten für den Quartierrat finden will, muss ich eine Koalition eingehen mit solchen, die kein Problem damit haben, dass Beduinen bei uns Häuser kaufen, unter der Bedingung, dass sie eine kleine Minderheit bleiben. (Der zionistische Schlüssel, seit jeher, ist 80:20. Das kann man in tausendfachen Versionen verfolgen.)

Die Wahlen sind am 10. November. Ich bin gespannt!

30.10.20 Die letzten Stunden waren dramatisch. Bis heute 14.00 Uhr (vor zwanzig Minuten) konnte man/frau seine/ihre Kandidatur anzeigen. Bis vor drei Stunden gab es nur sechs weißhaarige aschkenasische Männer, zwei davon "diplomierte" Rassisten, einer "von uns" und noch drei, von denen ich nichts weiß, was aber wahrscheinlich bedeutet – nachdem ich in den letzten drei Wochen alle Räder in Bewegung gebracht, oder es jedenfalls versucht, habe – dass sie nicht "zu uns" gehören.

Ich habe es dann aber doch geschafft: In allerletzter Minute konnte ich vier Frauen überreden zu kandidieren. Eine davon tatsächlich um 14.04 Uhr, aber ihre Kandidatur wurde akzeptiert. Jetzt haben wir zusätzlich vier Frauen "von uns", noch einen Mann "von uns", und noch eine Rassistin. Das war ziemlich anstrengend. Ich musste auf den Knien betteln, damit es geschah. Mindestens ein Dutzend Frauen, die vielleicht nicht genau so gewickelt sind wie ich, aber immerhin besser als die rassistischen Männer, wollten um keinen Preis, obschon sie mit mir einverstanden waren, dass sich hier ein schreckliches Ergebnis anbahne. Schlussendlich haben sich drei Frauen untereinander abgesprochen, nachdem ich nicht losgelassen hatte. Es hat sich gelohnt. Jetzt bleiben noch zehn Tage bis zu den Wahlen.

10.11.20

Heute sind die Wahlen. In den letzten Tagen musste ich mich mit allerlei bürokratischem Zeug beschäftigen, das nicht interessant ist, aber ich habe mich auch schon mit dem "Tag-danach" beschäftigt: Einige meiner Nachbarn wollen Vandalismus und Einbrüche damit bekämpfen, dass unser Quartier mit einer Schranke abgeschlossen wird. Also eine "closed community" im Stil der Kibbutzim und Moshavim. Diese umzäunten Dörfer veranschaulichen, was Ehud Barak einmal sagte: Wir sind eine Villa im Dschungel. Dieses Bild erinnert mich immer an Koltes' Stück "Kampf des Negers und der Hunde". Ich habe die Neigung zu versuchen, meine Ansicht positiv zu formulieren und nicht negativ, also nicht wogegen ich bin, sondern wofür. Natürlich bin ich gegen die Villa im Dschungel, aber wofür bin ich denn?

Um das zu beantworten, muss ich ausholen:

Die Kriminalität innerhalb der arabischen Bevölkerung in Israel hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Zwei der Hauptgründe sind: Einerseits die zionistische, rassistische Auffassung: Nu ja, die sollen sich doch gegenseitig umbringen, das ist uns egal. Diese Ansicht nimmt nicht in Kauf, dass auch wir Opfer davon werden. Vor drei Wochen schlugen in einem Haus in Ramat Tivon drei Kugeln ein. Das Haus war nicht gemeint, es war "Kollateralschaden". Glücklicherweise wurde niemand verletzt. Diese Ansicht führt dazu, dass die Polizei sehr viel weniger aktiv ist innerhalb der arabischen Bevölkerung. Dies wiederum führt dazu, dass die organisierten Banden im Stil der Mafia, die in Israel immer mehr "blühen", sich vielfach in der arabischen Bevölkerung einnisten und dort ihre Organisationszentren haben, weil sie wissen, dass sie dort von der Polizei nicht behelligt werden. In den letzten zwanzig Jahren wurde dieses Problem zum hauptsächlichen Thema, womit sich arabische Politiker in Israel beschäftigen. Seit fünf Jahren ist der wichtigste arabische Politiker Ayman Odeh, und er beschäftigt sich schon seit zwanzig Jahren hauptsächlich damit. Während all der Jahre, in denen ich "NEMASHIM" geleitet habe, habe ich auch gleichzeitig fleißig gefilmt. Hier eines dieser Filmchen: https://www.youtube.com/watch?v=gni3hgAHP0w worin in den ersten 44 Sekunden Machruss Sbidat zu sehen ist (der Schmächtigere der beiden). Weniger als zwei Jahre nach diesem Workshop wurde Machruss von einem Sohn eines Kollaborateurs ermordet. Eine riesige Demonstration gegen die Gewalt hat danach in Haifa stattgefunden, Tausende von zumeist sehr jungen Palästinenserinnen und Palästinensern aus Haifa, aber auch aus dem ganzen Land marschierten durch die Stadt und protestierten gegen die Kriminalität und dagegen, dass die Polizei nicht dagegen durchgreift.

Was wir wollen, ist ein gemeinsames Forum des zu wählenden Quartierrates von Ramat Tivon und den beiden anliegenden beduinischen Dörfern, das die Kriminalität bekämpfen soll. Das wird nicht einfach ein. Denn die Verbrecher bauen auf den Terror, den sie verbreiten. Aber wir müssen mutig sein. Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken und uns nicht hinter Mauern verschließen.

11.11

Der Ausgang der Wahlen ist eine große Enttäuschung für mich. Obschon mehr als 40% der Wahlzettel von Frauen kamen, wurde keine einzige Frau gewählt. Wir haben einen Rat erhalten, der im besten Fall die Lage so bleiben lässt, wie sie ist, aber im schlechteren Fall die rassistische Hetze noch ankurbeln wird und die Stadt davon überzeugen konnte, Dinge zu tun, unter denen wir leiden werden. Einer der Gründe ist eine ungenügende Politisierung. Ich habe beim Auszählen der Wahlzettel gesehen, dass es solche gab, die sowohl den bekannten Hetzer als auch einen oder zwei unserer Kandidaten wählten, und die Wahlbeteiligung lag unter 50%. Es gab Frauen, mit denen ich mehrmals korrespondiert habe, die nicht kamen.

2.12.2020

Nachdem wir die Wahlen kläglich und erbärmlich verloren haben – keiner von unseren Kandidaten hat es geschafft, keine Frau, keine Repräsentanz der jüngeren Generation (unter 50), nur fünf weißhaarige, aschkenasische ältere Männer, die im Durchschnitt so rassistisch sind wie der durchschnittliche Israel, das heißt etwa so wie ein AFD-Wähler – und während wir noch die Wunden lecken, habe ich beschlossen, nicht aufzugeben und weiter an der Verwirklichung meiner Ideen zu arbeiten. Deshalb wollte ich, nach langer Zeit, wieder Kontakt mit Imad Sawa'ed aufnehmen. Imad habe ich vor zehn Jahren kennengelernt, als ich mich für eine Familie engagierte, deren Haus abgerissen werden sollte. Er ist Beauftragte für Polizeiliches in Bossmat, dem beduinischen Nachbardorf, von dem hier die Rede ist. Um zu erklären, was das bedeutet, muss ich wiedermal ein bisschen ausholen:

Während den Demonstrationen von Ende September/anfangs Oktober 2000 in Israel wurden dreizehn Demonstranten von der Polizei erschossen. Diese Demonstrationen fanden auch in der Westbank und im Gazastreifen statt, was zu dem führte, was im Nachhinein "die Zweite Intifada" genannt wurde. Wer mehr über den innerisraelischen Aspekt dieser Katastrophe erfahren will, dem empfehle ich Orna Akads Roman "Wadi Milech" (sollte eigentlich Uadi Milech heißen, aber der Herausgeber war nicht einverstanden), den ich übersetzt habe. Der Oktober 2000 bezeichnet nicht nur das faktische Ende des Oslo-Prozesses, sondern ein tiefgreifendes Zerstören des jüdisch-arabischen Zusammenlebens innerhalb von Israel. Die Regierung beschloss, in den arabischen Dörfern und Städten Stationen einer sogenannten "Gemeinde-Polizei" einzurichten, sozusagen eine Polizei mit menschlichem Antlitz – wie ironisch!! Für diese Stationen wurden Anwohner rekrutiert, die bereit waren, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, zur Bekämpfung des örtlichen Verbrechens. Auch dies ist wiederum sehr ironisch, auf dem Hintergrund von dem, was ich schon beschrieben habe. Wie soll das örtliche Verbrechen bekämpft werden, wenn die Polizei selber nicht wirklich dagegen vorgeht? Aber Imad dachte, er könne etwas ausrichten, und er hat in den letzten zehn Jahren wunderbare Arbeit geleistet. Von Beruf ist er Judotrainer, seine Frau ist Lehrerin in der Mittelschule in Bossmat. Nun erzählte er mir, nachdem ich während der letzten Jahre nicht mehr mit ihm in Kontakt gewesen war, dass er und seine Familie (drei Kinder) jetzt auch bei uns hier im  Quartier, in Ramat Tivon wohnen, und zwar hat er das Haus gekauft, das dem Veterinär gehörte, den ich gut kannte, wegen unserer Katzen. Wie schade, hatte ich das nicht vor den Wahlen gewusst.

Vorgestern, am Montag, dem Geburtstag meiner verstorbenen Mutter, bat er, mich zu treffen, und er zeigte mir einen Ausschnitt eines Filmes der Überwachungskamera seines Hauses. Man sieht, nicht ganz scharf, eine ziemlich große Gruppe von Männern, im Durchschnitt 50-60 Jahre alt, nehme ich an, was an sich in diesen Zeiten ungewöhnlich ist. Natürlich trugen sie alle Masken, was die Identifikation noch erschwert. Imad erklärte mir, dass dies der neugewählte Quartierrat, zusammen mit einer Delegation des Stadtrates, sei. Darunter auch der Verantwortliche für Sicherheitsangelegenheiten in Tivon, mit dem Imad zusammenarbeitet. Die Gruppe geht nicht einfach am Haus vorüber, sondern verweilt dort ziemlich lange, was mich noch mehr erstaunte. Plötzlich bückt sich einer von ihnen, der am Jüngsten aussah, und riss aus dem Rasen einen Bewässerungsschlauch und warf ihn weg. Dann ging er einen Meter weiter und tat dasselbe nochmals. Keiner der Anwesenden zuckte mit der Wimper.

Ich war zutiefst erschüttert. Der Oberrassist, wegen dem ich mich engagierte, hatte im April gesagt: Wenn Araber bei uns einziehen, müssen wir ihnen die Hölle machen! Und siehe da, seine Hetze wird zum offiziellen Programm. Es sind mehr als zwei Tage vergangen, seit ich die Bilder sah, und sie gehen mir nicht aus dem Kopf. Ich habe fast die ganze Zeit rasendes Herzklopfen und bin schlecht gelaunt. Natürlich begann ich sofort, diejenigen Leute zu informieren, mit denen ich vor den Wahlen zusammengearbeitet habe. Die Sache ist immer noch im Laufen, aber wie auch immer die Sache auslaufen wird, besser wird es nicht werden.      

30.12.20

Drei Tage nach dem erwähnten Vorfall rief mich Noga verstört, mit zitternder Stimme an. Ihr zehnjähriger Sohn war soeben vom Park in unserem Stadtviertel zurückgekehrt, weinend und verängstigt, nachdem fünf beduinische Jünglinge aus dem Nachbardorf ihn und seine Kameraden belästigt hatten. Ich sagte ihr sofort, sie solle sich an Imad wenden, was sie auch tat. Sie wusste auch von mir, wer Imad ist, denn zwei Tage davor hatte ich ihr von dem rassistischen Überfall erzählt, denn Noga war eine unserer Kandidatinnen in den Wahlen. Nogas Geschichte, im Gegensatz zu der von Imad, hat ein happy-end. Imad, der hundert Meter von Noga entfernt wohnt, ließ alles liegen und stehen und rannte in den Park, aber die Jünglinge waren nicht mehr da. Er sagte ihr, sie müsse von seinem Partner Eli in Tivon die Aufnahmen der Überwachungskameras verlangen. Dieser Eli erhielt drei Tage davor von Imad die Aufnahmen seiner persönlichen Überwachungskameras, wo der rassistische Überfall aufgezeichnet war. Es vergingen drei Wochen, bis es Imad erlaubt war, in Elis Büro zu sitzen und sich die Aufnahmen anzusehen. Er erkannte einen der Jünglinge, sprach mit ihm und dadurch auch mit den vier anderen. Sie machten mit Noga, ihrem Sohn und seinen Kameraden am letzten Freitag ab, trafen sich wieder im Park, die Jünglinge entschuldigten sich auf Hebräisch und Arabisch, und zum Schluss spielten sie zusammen Fußball. Noga erzählte diese zuckersüße Geschichte auf ihrem facebook, und ich sage zuckersüß, weil sie einerseits wirklich sehr schön ist, und ein wunderbares Beispiel, wie eine gute Nachbarschaft aussehen kann. Andererseits wurmte es sich, dass sie nicht erwähnte, was demselben Imad in der gleichen Zeit widerfahren war. Das schrieb ich ihr auch auf ihre facebook-site, und erwähnte auch namentlich den Oberrassisten, der schon seit Jahren gegen die Araber hetzt, in der Likud-Exekutive sitzt, und auch im Stadtrat von Tivon, und auch mit mir in der Wahlkommission, die die Wahlen in Ramat Tivon vorbereiteten, dann auch für denselben Quartierrat kandidierte, leider gewählt wurde und am 30. 11. dabei war, als der kaum dreißigjährige Chef der Gemeindeverwaltung von Tivon, ja, kein anderer, er selber, brutal Imads Bewässerungschläuche überfiel. Worauf er mich anrief und mir drohte, dass er mich wegen Beleidigung vor Gericht zerren wird, wenn ich mich öffentlich entschuldige. Wofür? Dass ich geschrieben hatte, "…unter anderen Schmulik Ssimchon, der sich schon im ganzen Land dank seiner rassistischen Aussagen einen Namen gemacht hat…" Meine Freunde beruhigen mich und sagen, dass er das nicht machen wird. Ich hatte ja nur gesagt, was in "Haaretz" im April publiziert wurde.

Die einzige Reaktion, die Imad in den letzten vier Wochen von öffentlicher Seite erhielt, war ein Drohbrief. Ich und Imad werden bedroht. So läuft das hier, schon seit 140 Jahren…

   

(Fortsetzung folgt…)

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