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Deutscher Herbst 2004

Am Sonntag, dem 19. September 2004, haben die WählerInnen (vor allem die Wähler) der beiden ostdeutschen Bundesländer Brandenburg und Sachsen wieder einmal ein paar (Neu-)Nazis als ihre Vertreter gewählt. In der Woche vorher und der Woche nachher, also zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur, während der “schrecklichen Tage”, wie diese Zeit im Judentum genannt wird, bereiste ich zusammen mit Awino Oketsch aus Kenia Deutschland und konnte mir ein, wenn auch oberflächliches, Bild dieses Landes machen, das ich seit der Wende nicht mehr besucht hatte.

Ich wurde vom Weltfriedensdienst (www.wfd.de) eingeladen, zusammen mit Awino aus Kenia Theaterworkshops in Schulen zu leiten, unter dem Ansatz, dass wir beide, obschon wir uns nicht kennen, ähnliche Methoden anwenden, um zu ähnlichen Zielen zu kommen. Dieser Ansatz war richtig: Wir beide wenden zwar verschiedene Methoden an, haben verschiedene Ausbildungen, aber die Hauptmethode ist das “Theater der Unterdrückten”  von Augusto Boal , und das Ziel ist Veränderung der nächsten politischen Umgebung.  Ich wurde im Namen von „Nemashim“ eingeladen (www.mideastweb.org/nemashim), Awino im Namen des ATP (Amani People’s Theater www.aptkenya.org), und die Idee war, uns vor allem in Schulen zu schicken, um dort mit SchülerInnen zu arbeiten. So erhielt ich einen unmittelbaren Eindruck davon, in welche Welt SchülerInnen heute in Deutschland, im westlichen wie im östlichen, im armen wie im reichen, im „deutschen“ wie im „ausländischen“, hineinwachsen.  Deren Eltern haben sie in eine in Ost und West geteilte Welt geboren, eine Teilung, an die sich heute die Wenigsten derjenigen erinnern, die wir trafen.  Und was sie bewegt und ärgert, sind andere Probleme.

In Hamburg arbeiteten wir mit einer Abiturklasse (18-Jährige). Die erste Szene, die wir dort zeigten und behandelten, handelte vom Rassismus einer Gruppe Jugendlicher gegen eine iranische Jugendliche. Wir versuchten, szenisch, nachzuspüren, wo alles seinen Anfang nahm. Die zweite Szene handelte von einem „gemischten“ Paar, ein türkischer Jugendlicher, der seine russische Freundin zum ersten Mal seinen Eltern vorstellt. Das Stück endete mit dem Bild, mit dem der Workshop mit dieser Gruppe begann: Der türkische Jugendliche hebt seine Hand, um seine russische Freundin zu schlagen. Hier versuchten wir, den Konflikt zwischen den beiden zu lösen, der auf Eifersucht und verschiedenen kulturellen Vorstellungen basierte. Das Publikum wurde gebeten einzugreifen, entweder selber, oder mit einem Vorschlag, damit die beiden sich versöhnten, aber der Hauptdarsteller spielte so gut, dass alle es offenbar vorzogen, weiter zuzuschauen, als einzugreifen.

Die dritte Szene in Hamburg handelte vom Krieg in Afghanistan zwischen Amerikanern und Afghanen. Auch hier versuchten wir den SchülerInnen zu helfen, den Konflikt zu lösen, was in einer so heißen Situation ein bisschen schwierig ist und nur zeigte, dass es manchmal schon eigentlich zu spät ist, um das Blutvergießen noch zu verhindern. In einem der Verbrüderungsversuche reagierte ein Soldat auf den “Peacemaker”: “Bist du schwul oder was?”

Hamburg war für mich eine spezielle Station, denn genauso wie Tel-Aviv meine Vaterstadt ist, wo mein Vater geboren und aufgewachsen ist, ist Hamburg meine Mutterstadt. Nur hatte ich bisher keine besondere Beziehung zu dieser Stadt.

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In Duisburg ging es in den zwei Szenen um sehr Verschiedenes. Ich möchte nochmals betonen, dass weder ich noch Awino die Probleme oder Situationen vorgeschrieben oder auch nur vorgeschlagen haben. Um so erstaunlicher, welche Probleme gelöst wurden (auf der Bühne). Duisburg ist eine der Regionen Deutschlands, die von der Hoffnung verlassen wurden. Hohe Arbeitslosigkeit in einer Stadt, in der die Hälfte in der Industrie arbeitete, die ausgerottet wurde. Oder globalisiert gesagt: kapitalgünstiger in einen andern Kontinent verschoben. In diesem Fall, sagen einige, hätt es sich nicht mal fürs Kapital gelohnt, denn es stellte sich raus, jetzt, nachdem es schon zu spät ist, dass die Stahlglobalisierung doch teurer für den Kapitalisten ist.

Dies alles sahen die 14-Jährigen nicht vor Augen. Sie formten zu Beginn ein Bild einer Frau, die einen Mann schlägt, dann wurde beanstandet, es müsste doch umgekehrt sein, und da sich die 14-Jährigen nicht einigen konnten, bat ich um die Darstellung einer anderer Unterdrückung. Daraufhin kam das Bild eines Unternehmers, der einen Arbeiter feuert. Sehr naiv war dann die Weiterführung dieses Bildes zu einer friedlichen Lösung, mit Betteln und heftig auf die Tränendrüse drücken! Wir Erwachsenen fanden, dass dieser Weg zur Lösung ein bisschen zu einfach ist…

Die zweite Szene handelte von „mobbing“: ein “Anderer” wurde ausgegrenzt, angerempelt und schließlich mit Schlägen und Tritten traktiert. Bei der Diskussion um die Lösung ging es um die Frage, ob ein Erwachsener (zum Beispiel ein Lehrer) zur Hilfe zu rufen sei oder nicht. Nach Ende des Workshops stellte sich heraus, dass der Jüngling der den Ausgegrenzten spielte, genau dieses Problem hatte.

Nach Eberswalde, einer Kleinstadt außerhalb Berlins, also in Brandenburg, kamen wir am Morgen nach den Wahlen dort. In dieser malerischen Ortschaft wurde letztes Jahr ein Türke zu Tode geprügelt, doch wir wussten nicht, wieviele Eberswalder zum Nazierfolg in den Wahlen am Vortag verhalfen, und noch weniger wussten wir, wie es diesbezüglich in der Schule aussah, in der wir arbeiteten. Das wissen wir auch jetzt noch nicht, denn sehr lebendige Diskussionen kamen da nicht zustande. Vielleicht wirkt sich gerade der überschwengliche Elan der Lehrerin dort ausgerechnet hemmend auf die Motivation der SchülerInnen aus. Keine Ahnung. (Nachträglich hinzugefügt: Zwischen 2000 und 2009 gab es in Brandenburg nach Zählung von Fabian Virchow 69 extrem rechte Demonstrationen. Bundesweit gab es 2000-2003 98 solche Aufmärsche mit mehreren Tausend Teilnehmern. In Potsdam demonstrierten gleich nach unserm Workshop, im Oktober, 350 Neonazis. Im Juni 2010 war eine solche Demonstration in Eberswalde angesagt, wurde dann kurzfristig abgesagt. Neonazis wurden seit 2004 zum Teil auch bei Demonstrationen gegen Hartz IV gesichtet. Inzwischen gibt es fast immer auch eine Antifa-Gegendemonstration.)  Diesmal ging es in einer Szene, weshalb weiß ich nicht, um Urheberrechte. Das Publikum war nicht sehr angesprochen. Eine andere Szene ging darum, dass „Berühmte“ („VIPs“) Zugang haben (in diesem Fall: zu  einer Disco), und “Nicht-Berühmte” nicht hineingelassen werden.  In einer dritten Szene ging es dann tatsächlich um Rassismus, und das Publikum machte hier auch mit. Auf die Frage, was gegenüber der scheußlichen Szene denn zu tun sei, gingen die versammelten SchülerInnen eher zögernd ein. Eine Schülerin sah sich plötzlich eingemischt und die Streitenden beschwichtigend, ohne dass sie es anfangs wollte. Aus der sicheren Entfernung des Publikumsplatzes wusste sie nicht, was hier zu tun sei, doch wie die Szene weniger als zwei Meter entfernt von ihr geschah, haben ihre Beine und Hände gesprochen, vielleicht auch das Gewissen. Mut aus Not, allbekannt. Ein sehr menschliches Bild.

Letzte Station in der SchülerInnenbegegnung war Potsdam, auch das Brandenburg, diesmal ein Gymnasium, die Jugendlichen knapp 14-jährig. Ohne Kaffee um 8.00 Uhr schon im Klassenzimmer, alle erwarten gespannt, was wir ihnen bieten werden. Den Kaffee hab ich während der Aufwärmungsübungen geschluckt, und schnell auch waren schon zwei Szenen bereit, dazu eine Szene von seiten der Gruppe von Awino. Diesmal ging es in der ersten Szene um Armut. Arme, Reiche, und dazwischen: der Polizist. Ein sehr genau gezeichnetes Bild, intelligent dargestellt, die Lösung wiederum, bei diesen jungen Leuten: eher naiv. Eine bestimmte Portion Naivität ist gar nicht so schlimm, finde ich, aber zu viel davon hat zwei große Nachteile: Erstens werden in ihrem Schatten die schlimmsten Verbrechen vollbracht, und zweitens kann eine zu große Naivität wegen Enttäuschung zu einer totalen Resignation umschlagen, wie ich das bei einer 18-Jährigen in Hamburg gesehen habe. Die gebürtige Tunesierin, die sich sehr mit der palästinensischen Sache identifiziert, und mit der ich mich mit Freude in arabisch unterhalten habe, ist so ohne jegliche Hoffnung erfüllt (oder vielleicht sollte ich sagen: so von jeglicher Hoffnung entleert), dass sie uns nicht glauben konnte, dass wir diese Form von Theater machen, weil wir glauben, dass sich die Gesellschaft ständig verändert und wir ihr helfen können, sich in die richtige Richtung zu verändern. Wie viel wir dazu beigetragen haben, Awino in Kenia und ich in Israel, und wir beide in Deutschland, das ist schwer zu beweisen.

Einen letzten Workshop hielten wir anlässlich des attac-Theaterfestivals in Halle. Hier waren die TeilnehmerInnen schon über zwanzig, ein paar wenige sogar über 50, die meisten aus der Umgebung, aber auch von weit Hergereiste. Mit diesen attac-Bewegten erlaubte ich mir, Situationen anzusprechen, die mit der israelischen Realität zu tun hatten, mit der Gewissheit, dass alle wüssten, wie die Probleme in ihre eigene Realität zu übersetzen wären. Ich las ihnen Zeitungsausschnitte vor, die vor allem mit Ramle zu tun hatten, und jede Dreiergruppe wählte sich eine Meldung aus, um durch eine Szene den Hintergrund dazu zu beleuchten. Die erste Szene handelte von drei Jugendlichen, die zuschauten, wie ein paar russische Jugendliche einen andern Jugendlichen niederstachen und davonrannten. Im Publikum gab es zwar Versuche, die Katastrophe zu stoppen, aber die Szene war so spät angesetzt, dass das Unglück nicht mehr abzuwenden war. In der zweiten Szene wurde ein Mann in bürokratischer Stumpfheit von seinem Wohnort gewiesen, mit der wortkargen Auskunft, was er als Adresse angäbe, dort stehe kein Haus. Die kalte Beamte wurde vom Publikum ausgewechselt, aber das Haus war eben schon abgerissen. Der Mann wusste immer noch nicht weiter. Ohne dem Mann zu helfen, ging ich zur dritten Szene über. Hier war das Haus noch nicht abgerissen worden. Zwei Frauen bemühten sich um eine Baubewilligung, nachdem das Haus schon jahrelang stand, weil sie befürchteten, dass die Stadt das Haus demnächst wie angekündigt abreißen würde. Wieder war das Problem in der Szene die bürokratische Schroffheit. Ein junger Mann im Publikum schlug die Beamte mit ihren eigenen Waffen: sehr wortgewandt drohte er der Beamten, sie würde mit ihrem Arbeitsplatz zahlen müssen, wenn sie die Bewilligung nicht gebe, denn er habe sehr gute Beziehungen zu ihrem Boss. Das Publikum war begeistert,  und ich lobte den Schauspieler, der sehr überzeugend war, gab aber zu Bedenken, dass dies zwar eine übliche Praxis sei (“Beziehungen”), aber nicht nur keine politische Lösung sei, sondern zu allem dazu auch das patriarchalische Gefüge in der Gemeinde zementiere, weil jetzt alle von diesem Scheich abhängig sind, der diese Beziehungen besitzt, eine Situation, die auch vom israelischen Establishment zur Genüge ausgenutzt wird. Wie erwartet, wurde die Situation sehr gut verstanden, in Deutschland sind es vielleicht keine Scheichs, aber die Praxis der „Beziehungen“ ist universal und macht in den höchsten Gremien Schule. Wiederum wurde klar, wie in allen andern Szenen in Halle und in den andern Ortschaften,  dass nur Solidarität der Unterdrückten zu einer Veränderung der Verhältnisse führen kann.

Ich übergab das Zepter an Awino, die mit einer Geschichte aus Kenia, virtuos gespielt-erzählt, uns in andere Verhältnisse stürzte.

Die Nacht war schon da, der Versöhnungstag hatte begonnen, und anderntags fuhren wir zurück nach Berlin. Es war, gerade in Deutschland, ein sehr versöhnlicher  Jom Kippur, und zugleich ein entzweiender. Die Deutschen wollen offenbar nicht wahrhaben, dass “Lasst uns Israel boykottieren, wie wir Südafrika boykottiert haben“ nicht gleichzustellen ist mit „Kauft nicht bei Juden“; dass Haim Saban ein Symbol für wahnsinniges, zerstörerisches Monopolkapital ist, aber wer es in deutsch am Radio sagt, ist noch lange kein Antisemit (Ludwig Watzal). Aber natürlich verstehen das „die Deutschen“, sie senken nur machtlos die Köpfe, wie sie damals machtlos die Köpfe senkten: ich wars nicht, es war der Hitler ( ich hab mir in diesen Tagen in Berlin das Stück angeschaut, das schon 20 Jahre lang Tag für Tag über die Bühne geht: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2001/1201/magazin/0005/index.html ) , machtlos, wie ich machtlos den Kopf senke, wenn ich meinen Lohnzettel sehe und sehe, wie viel Tausende mir wieder weggenommen wurden für den Krieg, die Mauer, die Siedlungen, die religiösen Eiferer. Die Synagoge hab ich an Jom Kippur nicht besucht, ich hörte nur von weitem, wie sich die Himmelstore schlossen und die schrecklichen Tage beendeten.

So schrecklich waren diese Tage nicht für mich.

Uri Shani,   Oktober 2004

Über diese Reise, ein Bericht des WFD: https://abumidian.wordpress.com/2009/10/quer3_04.pdf

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