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Mittwoch, Nacht auf den 17. Januar

Gleich nach dem Abendbrot zurück in die Federn, was durchaus nicht meinen Gewohnheiten entspricht; aber die beiden letzten Tage waren ziemlich anstrengend, wenn auch nicht physisch. So kommt es, daß ich schon einen Happen Schlaf habe, wie mich um halb zwei Unbestimmtes weckt. Uri flüstert schweizerdeutsch im Korridor, und ich denke, das gehört zum Traum. Doch beim Gang auf die Toilette (immer, wenn ich nachts aufwache) finde ich Uri tatsächlich im Korridor, und er hat wirklich  schweizerdeutsch um halb zwei nachts am Telephon geflüstert, weil Freund Michael aus Zürich angerufen hat, um ihm zu erzählen, daß der Krieg im Irak ausgebrochen ist. Die Amerikaner haben Bagdad bombardiert, gezielt das Regierungsgebäude und den Flugplatz und chemische Waffenlager.

"Willst du einen Kaffee?"

(Nein. Ich will schlafen.)

Uri stellt mit ein Glas Kaffee hin und macht den zweiten Radio für mich an. Zwei Gläser Kaffee nimmt er in sein Zimmer, wo Edith steif im Bett sitzt. "Ich denke, wir schlafen noch mal bis vier" und löscht das Licht. Keine fünf Minuten später knipst er es wieder an und beginnt sich anzuziehen: "Wir gehen zu Ediths Eltern."

Solche konfuse Ratlosigkeit wird in Zukunft oft unser Handeln bestimmen. Eine Stunde ist vergangen, und Edith klingelt per Telephon die Eltern aus dem Schlaf. Wir raffen ein paar Sachen zusammen, die wir drüben brauchen, und Ediths Mutter ruft zurück, wir sollten uns beeilen, bald sei Ausgangssperre. Uri will seinen Bruder informieren, wo wir sind, aber die Leitung ist tot. Um drei machen wir uns auf die Socken, quer durch den Park, Laternen benachbarter Straßen lassen die nackten Stämme überlange Schatten auf den schutzlos braunen Boden werfen und zaubern effektvolle Bühnenbilder ins Dunkel. Ich trage eine voll gestopfte Tasche mit Nachtzeug und ein paar Büchern und Arbeitsunterlagen und habe mir die Gasmaske aus der Schweizer Botschaft umgehängt, Uri und Edith je eine simple braune Pappschachtel mit den ihrigen und zwei bauschige Federdecken; wir gehen wortlos und zügig. Drei Gestalten huschen zwischen Häusern und Bäumen. Vereinzelt ein Mensch, der uns entgegenkommt, ernst und mäßig hastend, und immer die gleiche Pappschachtel mit dem schwarzen Stoffriemen über der Schulter. Kein Wort, kein Ton.

Bei Gottliebs versucht Uri von neuem, seinen Bruder zu erreichen; entweder ist die Leitung tot oder Doron nimmt nicht ab, und in einem Anflug von Heroismus oder Panik will Uri mit Anitas Auto quer durch die Stadt zu ihm fahren; die Frauen der Familie reden es ihm aus. […] Der Raum zur Linken ist ins verdichtete, verklebte oder versiegelte Zimmer umgestaltet worden, wie immer man den stehenden hebräischen Ausdruck übersetzen mag: mit breiten Pack-Klebestreifen sind Fenster, Türen und Ritzen geschlossen worden, die Fenster überzieht zudem eine dicke Plastikfolie, per Klebestreifen an die Wand geleimt; all dies, um Giftgase davon abzuhalten, durch südländische Fugen zu dringen. Außerdem steht da ein Kübel und eine flache Schüssel mit Wasser, etliche verschlossene Mineralwasserflaschen, mehrere trockene und nasse Handtücher und Klebestreifenrollen und in Reih und Glied die Gasmasken der Familie, angeführt von einem wackeren, doch bescheidenen Transistorradio. Ich werde fortan solche Räume "verstopfte Zimmer" nennen, entsprechend der israelischen Scherzfrage, mit der ich am Flugplatz empfangen  worden bin: "Was ist der sicherste Ort in Israel?" – "Schamirs Kopf: er ist total verstopft."

[…]

Das Telefon, mit dem wir wohl Anrufe entgegennehmen, doch keine tätigen können, klingelt: Doron hat uns hier gefunden und Uri von seiner Zwangsangst befreit. […] Ich sitz bis zum hellen Morgen vor der Wunderkiste und bestaune hingerissen den Präsidenten der Vereinigten Staaten, der in seiner Fünfzehnminutenrede jedem von uns die verwegensten Träume vors Auge zaubert: "Wir haben die wichtigsten strategischen Zentren Bagdads zerstört: das Regierungsgebäude, alle Flugplätze und auch die Fernsehanstalt – so daß Saddam Chussein von seinem Volk völlig abgeschnitten ist. Das macht ihn machtlos! Wir haben über vierzig Waffenlager zerbombt und Unmengen von Giftstoffen entschärft, mit denen ganze Völker vernichtet werden sollten. Die Raketenbasen H2 und H3 im Westirak, mit denen der Diktator Israel bedrohen wollte, sind lahmgelegt. Bei all unseren Aktionen achten wir aber peinlich darauf, die Zivilbevölkerung zu schonen. Der Krieg wird kurz sein, und der Mann, der an Brutalität, Haß und Grausamkeit alles Dagewesene übertrifft, wird schnell und schmerzlos weichen müssen, um einem neuen Irak Platz zu machen, das sich friedlich in die Völkerfamilie einordnet: Und die neue Ordnung der Welt mit Frieden und Wohlstand für alle wird errichtet werden!"

Ich habe gar nicht gewusst, welch guter, charismatischer Mensch George Bush ist. Wie klar und fest sein Blick, wie unerschütterlich die schmalen Lippen, die knapp das Nötige sagen!

Glückvollgesogen bin ich müde geworden – Alles wird gut sein! – und lege mich im verstopften Zimmer schlafen.

Viele Wochen später, in der Schweiz, werde ich einen Bericht über die Stimmung in Israel lesen, die an diesem Tag geherrscht haben soll. Euphorisch über den Krieg seien die Leute gewesen, heißt es. 'Nein', werde ich denken, 'niemals! Wir waren niemals euphorisch über den Krieg, und ich habe mich auch nicht so leicht und leichtgläubig täuschen lassen. Ich habe immer gewusst, dass die Amerikaner ihre eigen kalte Bilanz ziehen, und ich kannte die Risiken und Nachteile…..'

Donnerstag, 17. Januar

Ich schreibe diese Notizen mit drei Tagen Verspätung – drei sehr langen Tagen. Damals war ich überzeugt, dass eine Niederschrift keinen Sinn hätte. Gottliebs stehen im Genuss des Satellitenfernsehens, und nachdem ich unverfroren bis zum späten Mittagessen ausgeschlafen hatte, saugte ich begierig alles ein, was CNN, Israel, die Vereinigten Staaten und das gesammelte deutschsprachige Europa im 3-sat zu melden wussten: ich lebe in der historischen Zeit des Aufbruchs zum Frieden! Morgen – übermorgen – wird alles vorbei sein – ausgestanden! Wir sind mit dem Schrecken davongekommen, und Gott sei Dank habe ich meine Zeit nicht mit so etwas Dummen wie einem Tagebuch vertan. Welch ein Glück, dass ich niemandem davon erzählt habe.

Die vielen Kundgebungen auf der ganzen Welt gegen den Krieg bereiteten mir Unbehagen – bereiten mir noch – denn: wer wollte nicht gegen den Krieg sein? Allein dieser Krieg ist ein reiner Krieg gegen die Waffen. Nicht Menschen, sondern Tötungsmaschinen sollen getötet werden. Die Bevölkerung von Bagdad ist nicht zu Schaden gekommen und wird nicht zu Schaden kommen…

Dieser Wunschtraum war wohl eher trotzig. Ich ärgerte mich über meine pessimistischen Söhne, die all das nicht so sehen; Doron behauptet, es werde lange dauern: "Ich glaube nicht, daß uns Schreckliches geschieht, aber viel Ärger wird es geben, auch für die Amerikaner, obschon sie siegen." Und Uri noch schlimmer: "Wie lange hat der zweite Weltkrieg gedauert, Ima? Und Vietnam? Warum glaubst du Propagandareden?" – Wie?! – Allerdings verstand ich überhaupt nicht, warum an diesem Donnerstag die Amerikaner nicht in Bagdad einmarschierten, wo doch alle irakischen Luftwaffen in der Nacht zuvor zerstört worden waren.

[…]

MUTTER ZWISCHEN DEN FRONTEN

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