דילוג לתוכן

Sonntag, 3. Februar

Eben habe ich Doron zum Militärdienst gefahren und stehe noch unter dem Eindruck unseres Abschieds. Wie er mich beim Küssen mit traurigen großen Augen anschaut, dann trübsinnig zum Eingang stakt, mit dem Wachhabenden ein paar Worte wechselt und schließlich im Innern des eingezäunten Militärlagers verschwindet. Was bin ich bloß für eine Mutter, daß ich meinen eigenen Sohn eigenhändig zum Militär karre. Da erinnere ich mich an Gespräche mit meiner Mutter aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, in denen sie mich für ein ganzes Leben davon überzeugte, daß eine Mutter besser dem eigenen Sohn einen Fuß entzweischießt als ihn in den Krieg ziehen zu lassen. [Ihr Mann, mein Großvater Hermann Becker, war zwar Soldat im ersten Weltkrieg, aber erstens hatten sie sich damals noch nicht gekannt, und zweitens war er im Schweizer Militär, stand also nur an der Grenze oder so. Genaueres weiß ich auch nicht. Und als der Zweite begann, ja, da war er schon 49 Jahre alt und ausgemustert….] Auf indirekte Weise habe ich dies für Doron auch getan: Er wäre bei seiner Rekrutierung mit einem ausgezeichneten "Profil" womöglich in die Elitetruppe aufgenommen worden, hätte ich ihn nicht daran erinnert, daß er als Mittelschüler zweimal den selben Fuß gebrochen hat.

[Ich hatte ausgezeichnete Adoptiveltern in Kibbuz Magen. Sie schafften es, mich zu überzeugen, mein "Profil" runterzudrücken. Ich bat meinen Vater um einen Brief, darin attestiert wird, dass ich Asthmatiker bin. Ich weiß nicht genau, wie er das gemacht hat, aber als Abteilungsleiter im KiSpi dürfte ihm das nicht allzu schwer gefallen sein.

"MUTTER COURAGE: Schweizerkas, deine Gewissenhaftigkeit macht mir fast Angst. Ich hab dir beigebracht, du sollst redlich sein, denn klug bist du nicht, aber es muß seine Grenzen haben."

Und an einer andern Stelle :

Ihr kennt den redlichen Sokrates
Der stets die Wahrheit sprach:
Ach nein, sie wußten ihm keinen Dank
Vielmehr stellten die Obern böse ihm nach
Und reichten ihm den Schierlingstrank.
Wie redlich war des Volkes großer Sohn!
Und seht, da war es noch nicht Nacht
Da sah die Welt die Folgen schon:
Die Redlichkeit hatt' ihn so weit gebracht!
Beneidenswert, wer frei davon!

Das ist die vierte Strophe im Salomon-Song, in der Courage-Version. Eilif ist kühn wie Cäsar (3. Strophe), Schweizerkas redlich wie Sokrates und Kattrin selbstlos wie der heilige Martin (5. Strophe).

Aber meine Schwester ist nicht ganz Martin und nicht wirklich heilig, und wer von uns beiden, Doron und ich, so kühn wie Eilif/Caesar und wer so redlich wie Schweizerkas/Sokrates ist – nu….]

Ich bin so verwirrt, daß ich mich auf dem Rückweg einige Male verfahre. […]

[…auf dem Weg nimmt sie Esthi mit…]

Hinter uns macht ein junger Mann auf sich aufmerksam, und wie wir uns umschauen, ist es unser Sohn und Gatte – der beinahe so schnell per Autostop in die Stadt zurückgekommen ist wie ich auf direktem Weg. Man habe seinen Einberufungsbescheid im Lager nicht gefunden, und er sei mit seinem Kommandanten übereingekommen, es müsse ein Irrtum vorliegen, er könne wieder gehen.

[… Esthi und Doron bringen Hilde vor "Ausgangssperre" zu Uri und Idit.]

Sonntag Abend, 3. Februar

Kaum war ich in Uris Wohnung, sank mein Barometer tief in den Abgrund. Wie leer und kalt ist es doch hier. Warum bin ich überhaupt hergekommen? – Es dauerte nicht lange, bis Edith und Uri nach Hause kamen und etwas Wärme und Leben mitbrachten, aber ich spürte dicke Luft; […sie geht einkaufen, erlebt eine Szene auch im Supermarkt, kommt zurück, und nach hartnäckigem Nachfragen und Selbstbeschuldigungen erzählt man ihr den Grund für die 'dicke Luft'…] Edith hat Ärger im Studium. Der Professor, bei dem sie ihre praktischen Arbeiten macht, ist aus der Stadt geflohen und hat keine Adresse hinterlassen, ist nicht einmal telefonisch erreichbar. Die Prüfungen, auf die sie sich vorbereitet hat, fallen aus, aber für eine andere, die erst im März stattfinden sollte, muß sie in drei Tagen anrücken. Grund genug, eine garstige Laune zu haben – es hat überhaupt nichts mit mir zu tun. Ich sollte selbst eine psychologische Studie über mich machen. Uri erzählt, seine Studienklasse würde morgen bei ausgebombten Kindern, die mit ihren Familien in den großen Hotels am Strand untergebracht sind, Theater- und Gesellschaftsspiele machen. Auch ihm falle ich nicht auf den Wecker, wie er nach dem Essen in meinem Zimmer schreiben muß – weil der Computer jetzt hier steht – und es stört überhaupt nicht mehr, wenn ich ihm dabei zuschaue. Ich wasche das Geschirr und die Küche auf und falle nachher todmüde auf mein kopfkissenloses hartes Sofa, an das ich schon nicht mehr gewöhnt bin. In Edith und Uris Schlafzimmer läuft bis gegen Mitternacht ein Compact-Disc von Bach – wie aus einer andern, besseren Welt. Aber dann bin ich zu müde geworden, um bei dieser Kälte auf die Toilette zu gehen oder mir ein Glas Wasser zu holen, döse bei vollem Licht und ohne richtig einschlafen zu können, nehme schließlich Mengen von Schlaf- und Beruhigungsmitteln und stibitze einen ziemlichen Schluck von Uris Wodka. [Sie meint denjenigen, den sie mitgebracht hat. Ich weiß bis heute nicht einmal, wie so was schmeckt.] Dabei erwarte ich jeden Moment, durch einen Alarm wieder aus dem Bett gerissen zu werden. Ich schlafe ein, kurz bevor die beiden andern wieder aufstehen.

MUTTER ZWISCHEN DEN FRONTEN

Ich habe übrigens während dieses Krieges an Wolf Biermann einen Brief geschrieben:

https://abumidian.wordpress.com/deutsch/biermann

להגיב

כתיבת תגובה