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Schabat, 23. Februar

Ich lag gestern noch lange wach und flüsterte ein halbes Band voll. […]

Schwäche, flüsterte ich, was ist das, Schwäche. Sollen wir stark sein? Warum? Ist die Seele ein Soldat?

Kann ich verzichten auf Ehre, Stärke, Mut? Ist es mutiger, feige zu sein? Bin ich Alte hinter dem Mond, oder sind es die Jungen, die Ehre wahren und davon zu schwach sind, um Verzeihung zu erbitten?

Ein schöner, sonniger Schabat, aber wie können wir ausgehen. Uri hat eine Kollegin hier, mit der er eine Szene einstudiert aus einem zionistischen Theaterstück aus der Jahrhundertwende. [Weder zionistisch noch Jahrhundertwende. Es muss "NEFESCH JEHUDI – Otto Weiningers letzte Nacht" gewesen sein. Es handelt von Zionismus und Jahrhundertwende, seine Intention ist aber sehr kritisch dem Zionismus gegenüber, und geschrieben hat es J. Sobol im Jahre 1983. Ich spielte dabei Otto.] Sie scheucht ihn vom Klavier weg und sagt: "Komm, wir gehen weg aus Wien, ich hasse Wien, ich kann nicht mehr hier sein unter diesen antisemitischen Studenten!" und es kommen ihr die Tränen. Sie spielt sehr, Uri nicht so gut, aber ich bin voreingenommen, was ihn betrifft. [Schon wieder! Jetzt bin ich aber langsam beleidigt!]

Nachdem sie gegangen ist, frage ich ihn nach seiner Lebenskrise, aber ich bringe nicht viel heraus. Es hänge nicht mit Edith oder einer bestimmten Person zusammen, es sei eine Infragestellung seines ganzen Lebens. [tja, also doch… ich versuche, mich zu erinnern, schaffe es aber nicht. Ich durchsuche einige der Briefe, die ich damals meinen Eltern schickte, und ich finde darunter folgendes, zweieinhalb Monate davor geschrieben: "27.11.90 – Es wird mir immer klarer, dass es mir, je länger ich hier – in Israel – lebe, immer schwieriger fällt, mich hier einzuleben. Jedes Jahr wird es schwieriger. Es ist wie eine zweite Kindheit: Der erste Schrei – Gewöhnung – eine naive Periode des "ich gehöre dazu" – und dann: beginnt das Leben und wird immer schwerer. Meine Tragödie (mit aller Bescheidenheit) besteht darin, dass ich dazu erzogen wurde, nicht zur Gesellschaft zu gehören, in der ich lebe, sondern zu einer andern, aber siehe da: auch die Gesellschaft, von der ich glaubte, dass ich ihr angehöre, da gehöre ich nicht dazu…" – aus dem Hebräischen übersetzt] Er gibt mir ein Pamphlet zu lesen von einer Gruppe, die sich DIAK nennt, deutsch-israelischer Arbeits-Kreis. Sie verdammt das militärische Vorgehen und will den Irak durch ein Handelsembargo von Aggressionen abhalten. Wie ich diese verlogene Blauäugigkeit in Politkauderwelsch hasse!

[…]

Uri hat mir ein Theaterstück über Probleme mit den Palästinensern zu lesen gegeben, in ziemlich alltäglichem Hebräisch geschrieben und nicht allzu schwierig für mich. [Vielleicht "Palästinenserin" von J. Sobol?] Außerdem lese ich Strindbergs "Vater", auf deutsch, den wir nächste Woche im Habima-Theater sehen werden. [Auch dies, wie Rina Jeruschalmis "Hamlet", eine ausgezeichnete Inszenierung mit Jossi Pollak in der Hauptrolle, der Vater von Jonathan Pollak, des Anarchisten, der jetzt – 2011 – im Knast sitzt.] Es geht um die Vergewaltigung einer Tochter [wie bitte?!!! woher bringt sie jetzt diesen Josef Fritzl her? Oder hat sie "Phaedras Liebe" vorweggenommen?] – ist es nicht das Theaterstück, von dem mir Itzig kürzlich erzählt hat? [siehe 8.2.] […] – Ich muß an meine eigene Kindheit denken. Erinnerung verklärt, und ich bin versucht zu glauben, als Kind sei ich immer glücklich gewesen. Aber ich war überhaupt nicht glücklich, wenn meine Eltern sich stritten – ein Kind nimmt so etwas viel zu ernst – und wenn sie dann auf dem Höhepunkt der Wut mir die Schuld gaben und sagten, sie würden mich als schwererziehbares Kind in eine Erziehungsanstalt stecken, fürchtete ich mich zu Tode und phantasierte, ich sei nur ein angenommenes Kind von ihnen. Adoptionsphantasien von leiblichen Kindern sind wahrscheinlich sehr verbreitet. [Hatte ich auch, Ima…] So verwöhnt bin ich eigentlich gar nicht gewesen.

Eine Gruppe junger Frauen kommt, die persisch sprechen, wie sie mir sagen. Ich überlasse ihnen meine Bank. Zeit, nach Hause zu gehen.

[…]

23. Februar, nachts

Am ende bin ich selbst auf dem Balkon eingeschlafen und wachte erst auf, als es dunkel war. Um neun standen Edith und Uri auf, ich dachte schon, sie würden bis morgen schlafen. Kurz darauf – ich bin gerade wieder beim Abwaschen – gibt es Alarm; mich widert das Ganze maßlos an. Die Maske ist nicht mehr auszuhalten, sie stinkt nach Ammoniak. Wir gehen in den Keller, warten ein paar lahme Bumms ab und steigen in die Wohnung und nehmen die Gasmaske vorzeitig ab (in den Keller, damit wir hübsch begraben werden, wenn die Rakete einschlägt, in die Wohnung für den Fall, daß die Gaswolke sich dann auf dem Stadtboden ausbreitet.) Ich finde diese Gymnastikübung fragwürdig; es könnte so etwas wie die Hauptprobe sein für das, was kommt, wenn es mit Saddam Chussein zu Ende geht und er sich in die Ecke gedrängt fühlt, und dazu nimmt es keiner mehr ernst genug.

Nächsten Mittwoch ist Purim. Edith und Uri meinen, dieses Jahr würde vielleicht gar nicht gefeiert werden; man kann ja gar nicht aus den Häusern. Esthi ist kurz und schnippisch beim üblichen Telefongespräch nach dem Alarm und sagt, sie sei gerade beschäftigt. Hat sie mir die Sache mit den Plastiksäcken noch nicht verziehen? Oder habe ich es nicht verdaut? Immer wieder erzählt sie mir eine Streitepisode mit Uri, die schon drei Jahre alt ist. – Meine Missstimmung steigt, wie ich mitteile, ich würde morgen zu Miki und später zu Ruth A. ziehen, und keinen Ausdruck des Bedauerns ernte.

[… wieder streicht sie etwas, und danach kommt etwas, was ich wegstreiche…]

MUTTER ZWISCHEN DEN FRONTEN

Und wie ich schon bald vierzigmal hier schrieb: Ich konnte nicht anders und habe Wolf Bier­mann auf sei­nen Artikel in der Zeit ge­ant­wortet:

https://abumidian.wordpress.com/deutsch/biermann

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