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Schabat, 2. März

Ich war als erste auf, weil ich verrückterweise den Wecker auf neun gestellt hatte; wenigstens konnte ich so mein Soll an Abwaschen verrichten, wozu ich gestern Nacht zu müde gewesen war.  Schai kam bald darauf und machte sich sechs Käsebrote im Grill, ohne mir auch nur eins davon anzubieten. [Achso, die Zigeunerin ist wieder mal in Savion, bei Miki und Shai. Vor lauter Streichen verschwimmt das Bühnenbild manchmal ein bisschen. Außerdem verstümmele ich nicht nur die äußerst intimen Dramen, sondern es scheinen auch die andern Mutter-Sohn-Beziehungen nicht richtig durch: Miki-Shai, Miki-Siw, Ruth-Joni, die als israelisches Pendant zu ihrem Verhältnis mit ihren beiden Söhnen fungieren. Ich glaube wirklich, man sollte das Ganze als Buch herausgeben, ungekürzt.] Aber dann frühstückte ich mit Miki sehr gemütlich, bis ich vorsichtig zu erwähnen versuchte, daß eine Wohnung in Tel Aviv hunderttausend Dollar kostet und ich das Geld nicht habe – da mußte sie zufällig in die Küche, um sich eine neue Tasse Kaffee zu holen, und nachher sprachen wir über etwas anderes. Wenn die Rede auf Geld kommt oder auf etwas, das entfernt mit dem Haus an der Feierbergstraße zu tun haben könnte, hört sie auf, Schwester zu sein.

[…]

Uri klingelt an. Er wolle mich um vier zu einem Ausflug abholen. Eigentlich habe ich von Doron eine Meldung erwartet; vielleicht trauen sie sich nicht, weil sie sich nach dem gestrigen Lapsus vor Miki schämen? – Miki lacht. "Dann rufe ich sie eben an." – So hätte sie früher nie reagieren können, ich freue mich.

Doron und Esthi wollen mich heute Abend ins Kino einladen; ich verschiebe die Verabredung auf morgen Nachmittag. Plötzlich habe ich wieder zu viele Angebote. Ohne Frage: der zweite glücklich Moment, wie Freundin Kate sich ausdrückt, hat für mich und die andern begonnen (der erste: bei der Ankunft, der zweite: bei der Abreise). Uri holt mich um vier mit Anitas Wagen zu einem zauberhaften Nachmittag ab.

Er fährt mit mir nach Rosch Ha'ain an der grünen Grenze (die Waffenstillstandslinie von 1949, die auf den alten Landkarten grün eingezeichnet war). […] Ich spreche mir […] Uri den ganzen Tag nur hebräisch, was mir sehr gefällt. [Mir weniger. Hilde hatte einen deutlichen deutschen Akzent und verwechselte ständig weibliche und männliche Verbformen, besonders wenn sie mich ansprach…] Uri chauffiert elegant Anitas Wagen, als wäre er Held einer amerikanischen Serie, [das hat mir gerade noch gefehlt, dass sie mir ausgerechnet das anhängt!] wir hopsen über Stock und Stein, und nach etwelchen Gewissensbissen, weil Edith nicht dabei ist – aber das ergab sich ohne mein Zutun – genieße ich das intime Zusammensein mit meinem Jüngsten in vollen Zügen.

Wir spazieren auf den Hügel zur Burgruine von Rosch Ha'ain, wo man das Dorf überblickt und die Landschaft bis weit hinunter nach Tel Aviv. Die alte Burg trägt phönizische Inschriften, und einige Räume sind bis zur israelischen Staatsgründung offenbar von ansässigen Palästinensern bewohnt worden, sie sind grell blau gekalkt. Heute leben in diesem Dorf jemenitische Juden. Ein Jüngling mit typischem arabischem Akzent ruft uns von zuoberst auf der Ruine der abgebröckelten Burgmauer zu, wir sollten zu ihm hinaufklettern; die Mauer ist einen guten halben Meter breit, es wäre machbar, aber ich trage diese roten Stiefel mit Absätzen… Uri sagt, ich solle mich an einem Seil festhalten, das da irgendwo hängt, aber danke schön! – Am Ende ruft Uri dem Burschen zu: "Tut mir leid, aber das ist für meine Mutter zu viel"; der jüdische Araber schaut von weit oben mit Verachtung – wie mir scheint – auf uns hinab, und ich komme mir sehr alt und blöde vor, besonders, weil ich mir zugeben muß, daß ich mich nicht nur der Schuhe wegen nicht auf den schwindelerregenden Pfad begeben wollte. Ich meine, ich sei mit der Zeit ängstlicher geworden – also doch alt – und früher risikofreudiger gewesen.

Während der schnellen Dämmerung klettern wir rund herum auf die zugänglicheren Teile der Mauer, und irgendwo legen wir uns auf den Rücken und betrachten den dunkelnden Himmel.

"Ich sehe schon fünf Sterne", sagt Uri. "Drei genügen: Schabat ist um." – Wir zählen ab wie kleine Kinder, bis wir auf vierzehn kommen und bis Orion mit Gürtel und Schwert dem Horizont entsteigt. Dieser Augenblick mit meinem Sohn auf dem Rücken auf der Burgmauer ist eine Sternstunde, die ich in zehntausend Jahren nicht vergessen haben werde.

Wir sprechen über die Schwierigkeiten in meinem Leben und daß ich viele Jahre die große Mama spielen wollte als Ausgleich dafür, in der ersten Zeit meiner Mutterschaft so unsicher und wenig selbstbewußt gewesen zu sein. Uri will unheimlich viel wissen über uns Eltern und schlägt immer ein neues Kapitel unseres Lebens auf; von seinem Vater erzähle ich ihm, auch von seinen Mißstimmungen im Herbst auf der Reise und der Belastung in seinem Beruf.

"Warum hast du mir gesagt, daß ich lakonischer geworden bin?"

"Habe ich dieses Wort benützt?"

"Nein – aber das meintest du doch."

"Ich meinte deine präzise, knappe Sprechweise."

Darüber habe er einen Kurs im Laufe seiner Ausbildung besucht – wie ich vermutete. Er freut sich von mir zu hören, daß solche Präzision auch in seine Persönlichkeit übergegangen sei und daß ich ihn für erwachsener geworden halte. Es scheint mir, er wird ein Erwachsener in der Richtung bescheidener, etwas spröder Sozialisten. [Jetzt reichts aber!! Gleich nennt sie mich auch noch "ein Bünzli"!!!] – "Spröde" ist auf jeden Fall eine positivere Wesenart als das passive, pessimistische "lakonisch", überlege ich. Spröde ist, als sei Fettgewebe abgeschmolzen, und die Muskeln – die Gefühle – seien deutlicher sichtbar.

"Weniger ist mehr", sage ich.

"Das stimmt. Ich bin auch nicht mehr so ein Hans in allen Gassen und habe weniger Freunde und gewöhne mir das Schwatzen ab. Von Natur bin ich ein Schwätzer." [Glaub ich Dir niemals, Ima, dass ich so einen Blödsinn gesagt habe. Ich war nie ein Schwätzer!]

Ich sage ihm, wie sehr ich von Freunden in der Schweiz enttäuscht sei. Ich spreche automatisch mit ihm hebräisch – mit mir selbst, auf diesem Tonband, kann ich mich nur deutsch ausdrücken.

[…]

MUTTER ZWISCHEN DEN FRONTEN

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