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Freitag, 1. März

Auf dem Rückweg stritten Ruth und ich uns: sie wollte mir weis machen, bei einer schlechten Stimmung könne man den Grund ausfindig machen und sie dadurch beheben. Uns als ich mich dagegen wehrte, Stimmungen seien leider nicht mit dem Kopf gemacht, bot sie mir: "Hör doch zu!" und mißbrauchte damit demonstrativ mein Vertrauen, denn mit genau dieser Aufforderung hatte Doron mich in die Enge getrieben, und genau dies hatte ich ihr erzählt.

Erzähle ja nicht sdeiner Freundin, damit du ihr nicht eine Waffe gegen dich in die Hand gibst!

[…] Ich selbst beschloß, so bald wie möglich bei El Al vorzusprechen und meine Reise auf nächsten Freitag oder sogar Mittwoch vorzuverlegen. Ruth wollte eine Freundin anrufen, die bei El Al eine hohe Stellung hat, aber erreichte sie nicht. Es ist Vollmond – sonst hätten wir kein Fest [Purim wird wie andere wichtige und archaische Feste, Pessach, Sukkot, Tu bishwat, Tu be'aw, am Vollmond gefeiert. Ich empfehle dazu Christa Wolfs "Medea.Stimmen" zu lesen. Dieses Jahr 2011 ist hebräisches Schaltjahr, deswegen wird ein ganzer Monat hinzugefügt, damit der Mondkalender Schritt macht mit dem Sonnenjahr, und so wird Purim erst am nächsten Vollmond sein, und Pessach und Ostern am darauffolgenden, was verhältnismäßig spät herausfällt.] – und ich verbrachte die Nacht damit, mich zu betrinken [eine gute Jüdin, die Hilde: an Purim soll man sich betrinken "Adloyada" – bis man nichts mehr weiss und erkennnt] und allerlei schwierigen Grübeleien nach zuhängen [das gehört allerdings nicht zur Mitzwa.] Wieder und wieder Doron und Uri, Edith, und Esthi… Esthi… Nicht einmal mit David darf ich über sie sprechen, ich darf sie nicht vor David blamieren. […]

Auch das Theaterstück beschäftigte mich, das Uri mir zu lesen gegeben hat. Die Heldin ist eine Palästinenserin, die sich fremd fühlt in der Heimat [tatsächlich die "Palästinenserin", siehe 23.2.], weil die Heimat von Fremden verfremdet wurde, und ich bin die Europäerin, die sich fremd fühlt, weil sie fremd ist. Ich darf nicht vergessen, worauf mich Uri und Edith aufmerksam gemacht haben: daß die Juden wohl das Land, das sie bebauten, ehrlich abgekauft und bezahlt hätten – aber nicht an die, die es bewohnten, sondern an deren Feudalherren. Der Vorwurf der Palästinenser an Israel ist dadurch nicht entkräftet.

Heute Morgen war zu meinem Entsetzen der Tisch für ein ausgedehntes Festtags-Frühstück gedeckt. Ich hatte gehofft, Ruth würde mich ohne Umstände gleich nach Rechowot zum Bus bringen – leider war ich auf sie angewiesen, es gibt vom Dorf Sitria aus keine öffentliche Verbindung. Aber nun ging alles langsam und gemütlich zu und her, und ioch verlor allerlei Nerven, denn ich sollte Miki um eins abholen zu Strindbergs "Vater" und musste mich vorher bei Uri waschen und anziehen. Wieder erhielt ich eine Lektion darüber, wie es ist, wenn man warten muß.

Ich fuhr erst um elf in Rechowot ab, und erst im Bus stellte ich fest, daß ich doch noch eine Verabredung treffen muß mit Ruth und Amram: meine schöne Schweizer Gasmaske, die ich nun nicht mehr benötige, aber bei Herrn Zemp wieder abliefern muß, ist im nicht mehr zu benutzenden verstopften Zimmer in Sitria geblieben.

Ich konnte von Glück sagen, kurz nach zwölf bei Uri zu sein. Die Zimmer waren ausgeräumt für das gestrige Fest, ein paar Resten standen herum.

"Wie schade, daß ich nicht dabei war", sagte ich.

"Nicht so schlimm."

"Du hast gut reden: ich hätte gern etwas von Purim gesehen."

"Verstehst du nicht: wir wollten unter uns sein, unter jungen Leuten. Ediths Eltern waren auch nicht da."

In diesem Augenblick fühlte ich mich schrecklich kindisch – aber ich hätte so gerne ein Purim-Fest mitgemacht, gerade jetzt, ich platze vor Lust, ein Fest zu feiern. Uri zeigte sich befremdet darüber, daß ich so kleinlich sei, und platzte aus mir heraus:

"Verzeih, daß ich überempfindlich bin, aber du hast hier noch einen Bruder."

Uri grinste.

"Ich habe fertig gebracht, dir kein Wort zu erzählen, und werde es auch jetzt nicht tun."

Ich rannte los, ohne mich zu waschen, nur ein bisschen von Uris Männer-Parfum unter die Achseln gesprüht und die Unterhosen gewechselt. Ich traf Miki pünktlich vor dem Habima-Theater, und wir aßen im Theaterrestaurant einen reichhaltigen Salatteller. Um zwei trafen wir Edith und Uri, und die Vorstellung fing an.

Das Strindberg-Drama [siehe auch 23.2. Jossis anarchistischer Sohn ist übrigens inzwischen aus dem Gefängnis entlassen.] ist insofern aktuell und modern, als es die Emanzipationsbewegung der Frau, die in den sechziger Jahren ihren Höhepunkt erreichte und noch nicht beendet ist, vorwegnimmt und die Frau als zwar unterdrückt im Bewußtsein der Gesellschaft, aber als individuelle Person emanzipiert darstellt. Die Inszenierung war hervorragend mit vielen originellen choreografischen Ideen, und im Gegensatz zur Sartre-Aufführung war es nützlich gewesen, das Stück vorher zu lesen. Die Pointen waren nicht schon bekannt und abgenützt, sondern konnten besser von mir verstanden werden. Die Charaktere waren anders, als ich sie mir vorgestellt hatte, aber nicht enttäuschend, sondern besser. Der Vater wurde gleich als ein äußerlich ruhiger, aber übersensibler Typ gezeichnet, so daß seine latente Gemütskrankheit plausible erscheint und man versteht, warum er durch sein Teufelsweib zu echtem Wahnsinn gereizt wird. Eine eindeutige Schuldzuweisung und Schwarzmalerei wird dadurch vermieden.

[…]

[..bei Uri..]

"Kommst du auch zum Nachtessen zu Doron?" fragte Uri.

Ich hatte nichts von einem Nachtessen bei Doron gehört.

Ich […] sagte, frei nach jenem "Frieden jetzt"-Politiker, der nach den enttäuschenden Erlebnissen diesen Satz an die Adresse von Freunden aus Westjorden-Palästina gerichtet hatte: "Er kann mich suchen!"

[Sie zitiert einen Artikel von Jossi Sarid, der ein Meilenstein in den Beziehungen zwischen israelischer "Linke" und den Palästinensern geworden ist. Als die Palästinenser zu den SCUDS auf den Dächern tanzten, gab ihnen Jossi Sarid mit diesem Artikel in "Ha'aretz" den Korb, was ich ihm nie verziehen habe. Wenn man ein Linker sein will, muss man das Abc der unbedingten Solidarität lernen. In größerem und schlimmerem Maße geschah das Ganze dann im Oktober 2000 wieder, und seither ist mir klar, dass von dieser "Linken" nicht viel zu erwarten ist. Der israelische Wähler hat das inzwischen übrigens auch begriffen.]

Edith und er machten Spongia, was ich mit Wehmut beobachtete; Miki wartete auf mich.

"Es tut mir leid, daß ich nicht mithelfe."

"Wird Zeit, daß auch wir wieder etwas tun", sagte Edith.

[…]

Eigentlich ist Saddam Chussein doch ein Träumer, überlege ich mir mitleidig. Er träumte, ganz allein den Amerikanern und der Welt zu trotzen, dabei hat er nicht das geringste strategische Talent.

[…]

Ich denke an Magda, die Palästinenserin, in dem Stück, das ich lese. "Alle andern wollen mir sagen, wer ich bin und was ich tun soll", klagt sie. "Ich will einmal selber sagen, wer ich bin." Wie sehr ich mit ihr fühle!

[…]

Im Augenblick sind meine Gefühle vollkommen ins Durcheinander geraten. Ich könnte jetzt auch kein Purimfest organisieren, selbst wenn ich hier ein Zuhause hätte. Ich benehme mich wie ein verhaltensgestörtes Kind und klaue Mandeln aus einer geschlossenen Packung im Eisschrank, die ich so wieder zuklebe, daß man nichts merkt: als wollte ich meine Naschsucht vor mir selbst verstecken. Ein Telefongespräch mit David am späten Abend ist auch nicht erfreulich. Ich erfahre, daß in den zwei Monaten weder die Familie H. noch die Familie R. angerufen hat – mit denen mindestens habe ich als Freunde gerechnet. Außerdem hat Herr J. gebeten, ich möge ihm seine Notizen für die Genealogie-Zeitung zurückschicken, was mich sehr erschreckt. Ich fürchte (wie es einer Zwangsneurotikerin ziemt, zu Unrecht, aber das weiß ich noch nicht), ich hätte die handgeschriebenen Zettel weggeworfen.

Nein – ich habe überhaupt keine Lust, in die Schweiz zu fahren. Ich will nicht hier bleiben, aber auch nicht dort sein. Von David abgesehen – weder auf die Probleme noch auf die Menschen freue ich mich, die dort auf mich warten.

MUTTER ZWISCHEN DEN FRONTEN

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